Braeutigame
krank und nutzlos geworden sind in Russland und die nun ohne Gefühl sind, wie Feldsteine.
Ich bin dennoch voll Neid, wenn ich es sehe.
Ich habe viel Angst, Heinrich. Es kommt über mich, am Abend und in der Nacht – Angst vor allem Schlimmen, was noch kommen mag. Ich glaube, wer das Elend dieses Lebens erfahren hat, der rechnet immer damit, dass es plötzlich wiederkehrt . Es gibt keine Ruhe mehr. Frieden mag draußen in der Welt herrschen, aber in den Seelen der Menschen unserer Zeit? Ich habe meinen F rieden noch nicht wiedererlangt . Ich finde keinen Trost, nicht einmal in der H eiligen Schrift bei unserem Gott und seinen himmlischen Hee rscharen, auf die ich traue.
Ich habe versucht, mit Minna über meine Gefühle zu sprechen, aber sie versteht es nicht, glaube ich. Sie kann ja manch mal ein rechtes Bauernkind sein auf ihre Art, obwohl sie ein gutes Herz hat. ‚Er ist tot ‘ , hat sie gesagt, ‚einfach tot, Alma, Millionen Menschen sind tot, Deutsche, Russen, Polen, Amis. ‘ (Sie nennt die Amerikaner Amis, wie viele junge Leute jetzt.) Das ist der Krieg, sagt sie. Wer im Krieg verlustig geht, ist gestorben, spätestens nach ein paar Monaten. Ich solle es einfach annehmen – weil alles andere doch nichts helfen würde. So spricht sie, und es verletzt mich . Ich weine dann still in meinem Zimmer unten, weil sie es so gar nicht verstehen will, vielleicht nicht kann. Sogar Frau Kühn hat nun manchmal ein Gefühl für mich. Ich denke , weil sie selbst viele Verwandte verloren hat. Sie hat es auch nicht leicht gehabt in ihrem Leben. Wer hat es schon leicht in diesen Zeiten?
Minna arbeitet jetzt auf dem Bau und hat das Autofahren gelernt und einen Führerschein bekommen. Sie isst alles, was sie kriegen kann & ist nicht mehr so hager wie sie gewesen war, obwohl sie hart arbeitet und mehrere Wochen lang Steine geschleppt hat, den ganzen Herbst. Ich hoffe, dass sie auch bald einen Mann findet. Aber für sie ist die Liebe nur ein Spiel, bei dem die meisten verlieren. Die hoffen immer nur, sagt sie, von einem Mal zum anderen – hoffen, dass das Los es gut mit ihnen meint, aber es gewinnen nur wenige, und sie glaubt ni cht, dass sie dazugehört. U nsere Minna.
Aber es ist Georg, der mir am meisten Trübsal bereitet. Er sag t, er wird weggehen, nach Norda merika. Er weiß nur noch nicht, wie er es machen wird , wir haben kaum Geld. Es macht uns alle traurig. Aber er ist nachgekommen nach Holstein, und e r arbeitet hier auf einem Hof. M it den Pferden natürl ich, das, was er am besten kann. Du erinnerst es sicher.
20. Februar 1948
Geliebter Heinrich,
nun ist er fort gegangen, unser Georg, mit seinem Krückstock, den er wegen des Beins braucht. Gestern in der Früh. Ich weine immer noch, wenn ich daran denke, und ich denke an nichts anderes. Mein wunderbarer Bruder, mein einziger & mein Freund. Er hat nur einen Schulterbeutel mitgenommen und die wenigen Sachen, die er am Leib hatte, Anzug, Mantel und einen alten Hut und einen gestrickten Schal. Nach Bremerh aven ist er aufgebrochen, an die Küste. Von dort sollen wieder Schiffe nach Amerika fahren, hat er gesagt, obwohl es auf dem Amt heißt, dass keine Deutsche n ausreisen können. Er klang zuversichtlich – er würde sc hon einen Weg finden, sagte er. Die Engländer hätten ihm ein Schreiben gegeben, mit dem er sein Glück im Hafen versuchen wollte.
Er will an einen Ort fahren, der Kentuc ky heißt (nicht nach Dakota, wo die vielen aus Leipzig sind, die vor dem Krieg gegangen sind). Dort – in diesem Kentucky – sollen sie gute Pferde und Höfe haben, und er hofft, dass er eine Anstellung finden und Geld verdienen kann. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wieder sehen werde. Ich hoffe, er schreibt uns bald.
Wenkenbek, 16. März 1948
Mein lieber Heinrich,
so weit weg von der Heimat – so viele Jahre sind es nun schon, seit wir von Leipzig nach Galatz aufgebrochen sind – da v ermisst man auf einmal Kerpspla tschinten, obwohl man sie eigentlich gar nicht so gerne gemocht hat. Der Kürbis ist für die Kühe, haben wir immer gesagt, für die Kühe und die Knechte, aber jetzt würde ich lieber eine Kerpspla tschinte essen als alles andere. Sie haben in Norddeutschland andere Kürbisse (sie nennen sie Kürbisse, nicht Kerpsen, es klingt komisch). Sie schmecken anders, weniger süß, und sie haben viele Kerne, die man nicht essen kann.
Das ist aber nicht der Grund, warum ich mich wieder an den Tisch setze und Dir schreibe. Es soll
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