Bragg 04 - Dunkles Verlangen
naiv.«
Jane sah ihn unschuldig an. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Er lachte. »Wenn das hier ein Spiel ist, bin ich dabei. Wenn nicht, ist es zweifellos ungemein amüsant.« Er entbot ihr seinen Arm, und Jane hakte sich lächelnd bei ihm unter. Dann setzten die beiden sich in Bewegung und blieben in der Tür zur Bibliothek stehen. Im ersten Augenblick machte der Earl große Augen, doch dann sah er plötzlich völlig teilnahmslos durch sie hindurch.
»Ich gehe mit Jane noch ein wenig an die frische Luft, alter Knabe«, sagte Lindley. »Rauch eine Zigarre für mich mit.«
Unter einem Ahornbaum gab Jane Lindleys Arm frei. Sie blickte in die Nacht hinaus und überlegte, ob der Earl ihnen wohl folgen würde. Aber auch wenn Nick beleidigt im Salon hocken blieb, war noch längst nicht alles verloren. Sie konnte Lindley gut leiden. Sie fand es erheiternd, dass er ihr aus der Hand fraß. Er war sehr attraktiv. Ob er versuchen würde, sie zu küssen?
Plötzlich fing ihr Herz an, schneller zu schlagen. Und wenn er sie nun küsste, was sollte sie dann tun?
Sie hatte noch nie einen Mann richtig geküsst.
Die Vorstellung erschien ihr ebenso faszinierend wie bedrohlich.
»Du bist wunderschön, Jane«, sagte Lindley leise und sah sie an.
»Du bist auch sehr attraktiv«, entgegnete Jane wahrheitsgemäß. »Und sehr, sehr nett.«
»Danke.« Lindley blickte zum Mond hinauf. »Du darfst nicht zu hart über ihn urteilen.«
»Tu ich doch gar nicht.«
»Er hat eine schwere Zeit hinter sich.«
»Ich weiß.«
»Das nehme ich dir sogar ab«, sagte Lindley.
»Hat er …?« Jane hielt inne.
»Nein«, sagte Lindley heiser. »Nein, er hat sie nicht umgebracht, verdammt. Was die Leute so reden, ist doch kompletter Unsinn. Und die wenigen Fakten, an denen was dran sein mag, werden doch in der Öffentlichkeit völlig verdreht.«
Jane drehte sich zu ihm um. »Das habe ich nicht gemeint! Ich wollte nur wissen … ob er sie geliebt hat? Ich meine Patricia.«
Lindley schien irgendwie erleichtert. »Danach musst du ihn schon selbst fragen.«
Jane kam näher. Sie lehnte sich direkt neben ihm an den Baum und musterte Lindley, der sie ebenfalls anschaute. Dann lächelte sie und seufzte. »Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, wusste ich sofort, dass er es nicht getan hat.«
Lindley lachte leise. »Die meisten Leute sind von seiner Schuld erst recht überzeugt, wenn sie ihn einmal gesehen haben.«
Sie sah ihn mit einem verschwörerischen Grinsen an.
Dann wurden plötzlich beide ernst, und die Nacht ringsum war ganz still. Lindley sah Jane zärtlich an, und sie wusste, dass er sie küssen wollte, dass er sie sehr gerne hatte. Sie fand die Situation so bedrohlich wie aufregend. Doch vor allem wünschte sie eines: dass der Mann neben ihr der Earl gewesen wäre.
»Jane«, sagte Lindley mit rauer Stimme. Dann verstummte er.
»Was?« Ihre Stimme hatte plötzlich einen schrillen Klang.
Er schien gerührt. Dann verzog er das Gesicht. »Mir wäre es beträchtlich lieber, wenn du nicht Sheltons Mündel wärst.«
»Wieso?«
Er sah sie mit einem verlegenen Lächeln an. »Weil du sehr schön bist, und …«
»Und?« In ihren Augen erschien ein dunkler Glanz. Sie sah ihn an.
Er fing an zu lachen.
»Ich bin nicht bei Sinnen«, murmelte er. »Komm, gehen wir zurück.«
»Warte.« Ohne nachzudenken, legte Jane Lindley die Hand auf den Bauch. Durch seinen Körper ging ein Ruck. Jane sah ihn an und fragte halb verlegen, halb neugierig: »Findest du mich wirklich schön?«
»Oh ja.«
Ihre Blicke ruhten ineinander. Jane lächelte, spürte seinen Körper unter ihrer Hand. »Möchtest du mich küssen?« Die Frage zeugte vor allem von Neugier, nicht von Begehren.
Er holte tief Luft, nahm ihre Hand, die auf seinem Bauch ruhte, und schob sie sanft beiseite, ohne sie jedoch loszulassen. »Möchtest du etwa, dass er mich umbringt?«
»Mich hat noch nie jemand geküsst«, sagte Jane. »Wenigstens kein Mann.«
Lindley starrte sie an.
Ohne dass es ihr selbst bewusst wurde, drängte Jane sich ihm ein wenig entgegen, ließ den Kopf in den Nacken sinken.
Lindley stöhnte auf. Er drückte ihre Hand, und dann beugte er sich zu ihr herab und küsste sie einmal kurz auf die geöffneten Lippen. Das alles geschah so schnell, dass es vorüber war, ehe es noch begonnen hatte. Jane war enttäuscht.
»Das reicht jetzt, Jane«, sagte der Earl, der hinter ihnen stand.
Kapitel 18
»Du verstehst das völlig falsch«, sagte Lindley.
Jane
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