Bragg 04 - Dunkles Verlangen
würde die Fantasie früh genug verdrängen. Und dann würde sie ihn sehen, wie er war, wie Patricia ihn gesehen hatte. Dabei hatte Patricia noch nicht einmal etwas von Chavez gewusst. Dennoch hatte sie ihn abstoßend und pervers gefunden. Und genau das würde sich bei Jane binnen Kurzem wiederholen. Sie würde ihn ebenfalls hassen …
Ja, der Earl von Dragmore hatte Angst.
Er stand abrupt von dem Sofa auf. Was kümmerte es ihn, was sie dachte? Er war älter und klüger als sie. Sie hatte lediglich die Rolle seiner Ehefrau zu spielen, seine Kinder auszutragen und ihm ansonsten zu gehorchen. Wenn sie ihn nicht leiden konnte, was zählte das schon? Wenn sie sich von ihm abgestoßen fühlte, was kümmerte es ihn? Er war nicht mehr derselbe Mann wie vor fünf Jahren. Er hatte sich seither ein dickes Fell zugelegt. Dass sie ihn demnächst aus jenen Augen, aus denen jetzt nur grenzenlose Bewunderung sprach, voll Abscheu ansehen würde, damit würde er schon zurechtkommen. Außerdem: Welche Wahl hatte er denn? Er musste sie ja ohnehin heiraten.
Doch die Angst war da – eine widerliche Angst.
Er wusste: Sollte er sie wirklich lieben, würde sie ihn ganz sicher verletzen.
Der Earl stand nahe der geschlossenen Tür in Janes Schlafzimmer und fühlte sich unwohl in seiner Haut. Auch Jane war nervös. Sie stand mit zusammengelegten Händen ängstlich neben dem Bett und sah ihn mit dunkel leuchtenden Augen an. »Oh, wie leid mir das alles tut!«, platzte es aus ihr heraus, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte.
Er beachtete ihren Ausbruch nicht weiter. »Wir heiraten.«
Jane schnappte nach Luft.
»Hoffentlich bist du nicht schwanger«, fuhr er ohne jeden Anflug von Herzlichkeit fort. »Wir werden so bald heiraten, wie die Schicklichkeit es erlaubt, um nicht den Eindruck zu erwecken, wir hätten es eilig.«
Jane zitterte am ganzen Körper. Auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln. Ihre Augen strahlten. ja, sie liebte ihn und jetzt wurde sie auch noch seine Frau. Alle ihre sonstigen Träume waren plötzlich gegenstandslos. jetzt zählte nur noch eines: Der Earl wollte sie heiraten, sie würde künftig also an seiner Seite leben. Ihr Lächeln wurde immer strahlender. Ob das bedeutete, dass er sie liebte?
Sein Gesicht verfärbte sich dunkel. Der Tonfall, in dem er sprach, klang drohend. »Scheint so, als ob du dich freust.«
»Oh ja, sehr sogar«, rief Jane.
Er stürzte auf sie zu und packte sie an den Schultern. Jane fing an zu schreien. »Dann hast du es also bloß darauf angelegt, eine gute Partie zu machen. Deshalb sollte ich dich also entjungfern? Oder warst du vielleicht gar keine Jungfrau mehr?,~
Er schüttelte sie, tat ihr weh. Aus Janes Augen quollen dicke Tränen. Die körperlichen Schmerzen – die konnte sie leicht ertragen. Was wirklich unerträglich wehtat, war ihr Herz. »Doch. Nein. Hör auf.«
Er starrte sie an, versuchte in ihren Augen die Wahrheit zu ergründen.
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Das ist der einzige Grund, weshalb ich deine Frau werden möchte.«
Er lachte, stieß sie weg. »Liebe?«, knurrte er. »Du weißt doch gar nicht, was dieses Wort bedeutet. Nur Narren glauben an die Liebe. Was du Liebe nennst, ist nichts weiter als eine pubertäre Schwärmerei oder -brutal ausgedrückt – Lüsternheit.«
Sie hatte das Gefühl, dass ihr die ganze Welt unter den Füßen Stein für Stein wegbrach. »Das ist nicht wahr.«
»Nein?«, spottete er. »Dann willst du mir also erzählen, was es mit Liebe und Lust, Männern und Frauen auf sich hat?«
Sie umschlang sich selbst mit den Armen. »Warum tust du das?«, flüsterte sie. »Warum willst du mich unbedingt verletzen?«
»Ja, was glaubst du wohl, warum?«, schrie er. »Verdammt. Meinst du, dass ich scharf darauf war, die Verantwortung für ein Mündel zu übernehmen? Schließlich habe ich schon einen Sohn. Ich brauche kein weiteres Kind, um das ich mich kümmern muss. Und eine Frau brauche ich auch nicht. Oder habe ich dir etwa den gegenteiligen Eindruck vermittelt?«, brüllte er.
Ihre Wangen waren tränenüberströmt. »Du willst also in Wahrheit gar nicht heiraten.«
Er lachte höhnisch. »Du hast es erraten, Jane. Gratulation!«
Sie drehte sich von ihm weg. »Dann liebst du mich also gar nicht?«
Er stand schweigend da, und das war Antwort genug.
Sie sah ihn durch einen Schleier dicker Tränen hindurch an. Vor ihr stand ein dunkler, harter, zorniger Mann, so viel konnte sie trotz allem erkennen.
»Und warum willst du mich dann
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