Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
erste Satz konnte dort schon vor langer Zeit lokalisiert werden. Zweitens: Die beiden andern Teile haben bisher als verschollen gegolten. Ihr ungeahntes Auftauchen kommt also einer Sensation gleich.«
Ich warte gespannt.
»Es ist überliefert, dass Brahms jeweils mehrere Abschriften seiner Kompositionen anfertigte. Die Kopien verschickte er an Freunde und Freundinnen, um ihr geschätztes Urteil zu erfahren. So gesehen erstaunt, dass bis vor wenigen Tagen nur noch eine einzige Abschrift der Thuner-Sonate bekannt war. Jene in Krakau. Es lag stets im Bereich des Möglichen, dass irgendwann, irgendwo weitere Blätter auftauchen könnten. Et voilà!«
»Wie sind Sie an das Manuskript gelangt?«, wiederhole ich meine Frage. »Wer bietet es an? Zu welchen Konditionen?«
Mein Gastgeber windet sich.
Ich insistiere. »Sie werden verstehen, Herr Auf der Maur, dass ich mehr über die Umstände erfahren muss, die Sie in den Besitz der raren Blätter gebracht haben.«
»Damit kein Missverständnis aufkommt: Von Besitz kann keine Rede sein. Noch nicht. Mir ist die Sonate lediglich zur Prüfung überlassen worden. Ich entscheide, ob sie allenfalls für die Brahmsgesellschaft erworben werden kann.«
»Ist eine solche Anschaffung realistisch?«
»Von den Statuten her schon. Was unser Vermögen betrifft, vielleicht weniger. Es kommt darauf an, mit was für Preisvorstellungen wir konfrontiert werden. Bisher hat sich der Anbieter diesbezüglich bedeckt gehalten.«
»Um wen handelt es sich da eigentlich?«
»Eine berechtigte Frage.«
»Was soll das heißen? Ich nehme an, dass Sie ihn spätestens bei der Übergabe kennengelernt haben.«
Er zögert. »Hm, vielleicht.«
»Vielleicht? Wie meinen Sie das? Haben Sie ihn nun persönlich getroffen oder nicht?«
»Wie soll ich wissen, ob die Person, die mir die Noten ausgehändigt hat, auch der Anbieter oder gar der Besitzer ist? Möglicherweise habe ich es nur mit einem Laufburschen zu tun gehabt.«
»Das Ganze klingt sonderbar. Sie verstehen hoffentlich, wenn ich skeptisch bleibe.«
»Ja. Aber vergessen Sie nicht: Ein bisschen Geheimnistuerei ist im Kunst- und Antiquitätenhandel Usus. Der Verkauf alter Schriften gehört da irgendwie mit rein, oder?«
»Solang Sie keine Zahlung getätigt haben, liegt das Risiko ganz auf der Seite des Boten. Wie sah der aus?«
»Ein ungefähr 30-jähriger Mann mit östlichem Akzent.«
»Hm.«
»Hinsichtlich der Art und Weise, wie er zu den Blättern gekommen sei, hat er schlicht die Auskunft verweigert. Das ist mir schon etwas komisch vorgekommen.«
»Schlicht ist schlecht«, kommentiere ich.
Auf der Maur nickt. »Er meinte, es genüge doch, dass er mir verraten könne, wie ich zu den Blättern komme. Jedenfalls kenne er genügend andere Interessenten.«
»An wen hat er wohl gedacht?«
»Oh, da weiß ich eine ganze Reihe von Institutionen und privaten Sammlern, die auf sowas scharf wären. Die verschiedenen Brahmsgesellschaften beispielsweise oder die Universitätsbibliothek, in der sich bereits der erste Satz befindet.«
»Wo überall sind noch Brahmsgesellschaften aktiv?«
»Ich kenne nicht alle. Engere Kontakte pflegen wir nur zu Baden-Baden, zur Hamburger Gesellschaft und zum Brahmsarchiv in Lübeck. Aber ich weiß von der Existenz weiterer Gesellschaften in Asien und Übersee.«
»Was glauben Sie, warum als Erstes ausgerechnet Ihnen ein Angebot unterbreitet wird? Werden Sie für besonders solvent gehalten?«
Auf der Maur winkt ab. »Es liegt auf der Hand, die Komposition an ihrem Entstehungsort anzubieten, oder?«
»Verstehe. Da kann Ihre Gesellschaft nicht übergangen werden.«
Mir scheint, diese Tatsache erfüllt ihn mit Stolz.
Bezüglich der Mitgliederzahlen stehe es allerdings alles andere als rosig, gesteht der Präsident. »Jahr für Jahr sterben uns treue Brahmsjaner weg. Neueintritte sind kaum zu verzeichnen. Unsere Aktivitäten beschränken sich auf die jährliche Generalversammlung und ein kleines Konzert mit Werken des verehrten Meisters. Vor über 20 Jahren fand dieses noch in der Stadtkirche statt. Große Orchester intonierten ›Ein deutsches Requiem‹ oder die dritte Symphonie. Heute reicht mein Salon völlig aus, für Kammermusik im kleinen Rahmen. In zwei Wochen ist es übrigens wieder so weit. Wenn Sie sich den Termin schon mal vormerken wollen, Herr Feller.«
Ich notiere mir den Anlass. Mit Blick auf das Manuskript frage ich: »Und das da ist echt?«
»Hoffentlich. Ich kann das aber nicht beurteilen. Es
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