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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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gepflanzten Weide zu entziffern. Der Brahmsbaum ist zum 100. Todestag des Komponisten dank Spendengeldern gepflanzt worden. Zusätzlich zum Brahmsquai, zum Brahmsweg, zum Brahmsbrunnen und zur Brahmsrösi. Nur das Brahmshaus ist weg.
    Als der Fotograf an mir vorbeischleicht, treffen sich unsere Blicke. Seine tiefdunklen Augen mustern mich feindselig. Ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass er mich kennt.
    Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, die Originale nach Krakau mitzunehmen. Auf der Maur hat nachträglich interveniert. Lediglich die Kopien sollen auf Reisen gehen. In dem Fall benötige ich dasManuskript nicht mehr. Nach der Begegnung mit Perkins frage ich mich zudem, ob die Papiere in meiner Wohnung sicher sind. Wäre es nicht klüger, sie zurückzugeben? Kurzfristig ist der Brahmspräsi nicht mehr erreichbar. Er steckt nun mitten in den Examen.
    Am gescheitesten gebe ich die Originale darum einer unbeteiligten Person in Obhut. Sofort kommt mir ein befreundeter Musiker in den Sinn, Bernhard Bachmann, der Paganini der Schweizer Alpen. Er wohnt in der Gemeinde Oberhofen, ein paar Kilometer seeaufwärts. Er gilt mir als absolut vertrauenswürdig und zuverlässig. Vermutlich freut er sich sogar über das exklusive Depositar. Ich zögere nicht. Entschlossen springe ich von der Sitzbank und eile nach Hause.
    Umgehend rufe ich Bachmann an. Ich trage ihm mein Anliegen vor. Er erklärt sich bereit, während meiner Abwesenheit den Brahms zu hüten. Weitere Fragen stellt er keine. Wie selbstverständlich empfängt er mich kurz darauf in seinem Eigenheim. Ich überreiche ihm den Schuber. Vorsichtig lässt er die Ledermappe herausgleiten. Erwartungsvoll klappt er sie auf und mustert das Deckblatt. »Unglaublich. Das Original!«
    »Das muss sich erst weisen«, relativiere ich. »Morgen früh fliege ich nach Polen. Wenn es dort gut läuft, wissen wir am Abend mehr.«

7
    Meine schwarze Reisetasche steht bereit.
    Ich studiere die Unterlagen, die Jüre bei Rico Reisen besorgt hat. Offenbar stehen keine Direktflüge zur Verfügung.
    Die Maschine startet am Sonntagnachmittag um 13.55 Uhr Richtung Frankfurt am Main. Dort haben wir einen Aufenthalt von einer Stunde und 50 Minuten, bevor wir nach Krakau-Balice weiterfliegen. Um 18.25 Uhr erreichen wir unser Ziel. Mit 360 Franken für Hin- und Rückflug kommen wir glimpflich davon. Unser Financier wird es zu schätzen wissen.
    Das Hotel befindet sich in Gehdistanz zur Altstadt, in der Gertrudystraße Nummer 6. Es trägt den krautigen Namen Planty. Das Dreisternehaus verfügt über 75 Zimmer, ein Restaurant und eine Bar. An der werde ich meinen Schützling vorbeizuschleusen suchen. Unsere Bleibe liegt nahe der Bibliothek. Ein Rendezvous mit Professor Marczy ń ski, dem Leiter der Bibliothek, ist für morgen 9 Uhr vorgesehen.
    Alles liegt parat. Ich schiebe die geliehene CD in den Player und lasse mich entspannt zwischen die Sofakissen fallen. Konzentriert lausche ich dem Thunerländler. Wohlfühlen im Dreivierteltakt.
    Das Klavier eröffnet das Allegro amabile mit vier verhaltenen Takten, worauf die Violine mit zweigestrichenem Fis und drei absteigenden Achtelnoten antwortet. Als wär’s ein Nachseufzer. Die Geige scheint die Stimme einer Frau zu intonieren. Meldet sich die Altistin zu Wort?
    Mit der markanten Pianostimme verschafft sich Brahms Gehör. Seine Melodie trägt Liedcharakter. Tatsächlich sollen hier die Brahmslieder ›Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn‹ und ›Komm bald‹ Verwendung gefunden haben. Wie zwei verliebte Schwäne turteln die Instrumente im gleitenden Wohlklang. Zum Schluss überrascht ein Stimmungswandel. Das furiose Finale kündet Misstöne an. Worüber streiten sich Hermine und Johannes?
    Das Andante tranquillo tönt nicht so tranquillo. Vielmehr scheinen im zweiten Satz offene Fragen diskutiert zu werden. Mollklänge trüben die Stimmung. Mit gezupften Saiten akzentuiert die Violonistin jeden Ton einzeln. Gezupft und leicht betupft? Johannes brummt. Hermine schmollt. Dann egalisiert ein kurzes Vivace ihre Meinungsverschiedenheiten.
    Drohen im Allegretto grazioso neue Schwierigkeiten? Das Piano räumt sie weg. Zuversicht und Vertrautheit machen sich breit. Die beiden Stimmen finden endlich einen sehr vernünftigen Tonfall. Er gipfelt im finalen Forte. Wie war das genau mit den beiden? Wie forte schlugen damals die Herzen füreinander?

8
    Das kleine Doppelzimmer im zweiten Stock des Hotels Planty bietet einen schönen Blick auf die

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