Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
drücken, nur meine Botschaft, die ich jetzt überbringen muss, passt nicht in diesen Rahmen. Albrecht, Margareta, Lisa, Andreas Haag, prangte in großen Druckbuchstaben auf dem sauber polierten Namensschild. Er ließ die Glocke einmal kräftig läuten, sah die Bewegung des Vorhangs hinter einem der Fenster im Erdgeschoss.
Die Tür wurde fast augenblicklich geöffnet; der Mann, der sich ihm präsentierte, trug eine dunkle, bis zum Halsansatz geschlossene Weste, die nur den oberen Rand eines weißen Hemdkragens zum Vorschein kommen ließ, graue Stoffhosen und braun karierte Hausschuhe, von der Straßenlampe, die unmittelbar neben dem Eingang aufleuchtete, in helles Licht getaucht. Er betrachtete Braig mit unverhohlener Neugier, blieb mitten auf der obersten der drei Stufen stehen. »Polizei?«, rief er laut.
Braig nickte, schob die niedrige Gartentür zur Seite, zog seinen Ausweis aus der Tasche, streckte ihn dem Mann entgegen. Er hatte mit Martin Reisinger, der die Leiche der jungen Frau gefunden hatte, gesprochen, hatte sich bis ins Detail erklären lassen, wie es zu der Begegnung gekommen war. Der Mann war von dem unverhofften Erlebnis immer noch gezeichnet gewesen, hatte den abendlichen Spaziergang mit seinem Hund sichtbar aufgeregt und mit mehreren Wiederholungen genau beschrieben. Braig hatte keinen Anlass gesehen, Reisinger zu misstrauen, hatte sich seine Anschrift notiert, sich dann anschließend von einem Kollegen der Haller Schutzpolizei zum Haus der Haags fahren lassen, war unmittelbar davor aus dem Dienstwagen auf die Straße getreten.
»Sie sind von der Polizei?«, fragte der Mann. »Hat meine Frau vorhin mit Ihnen gesprochen?«
»So ist es, ja«, sagte Braig. Er schloss die Gartentür, trat auf den Mann zu, die Kennkarte in der Hand. »Mein Name ist Braig.«
Sein Gegenüber überflog den Ausweis nur flüchtig, brachte seine Sorge unvermittelt zum Ausdruck. »Was ist mit Lisa? Weshalb konnte meine Frau nicht mit ihr sprechen?« Er musterte das Gesicht seines Besuchers, versuchte, in dessen Mimik zu lesen.
Ein Auto fuhr auf der Straße vorbei, hupte kurz, beschleunigte nach mehreren Metern. Der Mann zeigte keinerlei Reaktion, wartete auf eine Aussage des Kommissars.
»Herr Haag?« Braig sah die verkrampfte Körperhaltung seines Gegenüber, musste mehrere Sekunden auf dessen zustimmendes Kopfnicken warten. Er deutete ins Innere. »Können wir uns im Haus unterhalten?«
»Ihr ist etwas passiert. Oh mein Gott. Margareta hat es sofort gespürt«, entfuhr es dem Mann. Er trat zur Seite, ließ den Besucher eintreten, führte ihn in ein gemütliches, mit dicken Teppichen ausgelegtes Wohnzimmer, an dessen Tisch lehnend eine etwa fünfzig Jahre alte, strohblonde Frau Braig mit verängstigten, weit aufgerissenen Augen entgegenstarrte.
»Was ist mit Lisa?« Flüsternd und kaum verständlich presste sie die Worte hervor.
Braig sah, dass sie am ganzen Körper zitterte, durchquerte den Raum, versuchte ihr die Hand zu geben. Sie war nicht imstande, ihren Arm zu heben, hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, klammerte sich an der Tischplatte fest.
»Können wir uns nicht setzen?«, fragte der Kommissar, seinen Blick unmissverständlich auf das breite Sofa gerichtet, das fast die gesamte Rückwand des Zimmers einnahm und mit einer Unzahl von Kissen aufwartete.
»Setzen?«, fragte Albrecht Haag. Er schaute seinen Besucher fragend an, schien dessen Worte nicht zu begreifen. »Ja, aber sicher«, sagte er dann, schob die Kissen auf dem Sofa zur Seite, bot Braig Platz an. »Bitte.«
»Ihre Frau ebenfalls.« Braig fühlte sich müde und abgespannt, betrachtete die Fotos an der Wand, großformatige Portraits eines jungen Mannes und einer jungen Frau, beide mit schmalen Gesichtern und lockigen blonden Haaren, unübersehbar Bruder und Schwester. Er erkannte die junge Frau auf den ersten Blick. Vor nicht einmal einer Stunde hatte er sie wenige Meter unterhalb der Comburg zum ersten Mal anschauen müssen. Es gab nicht den Hauch eines Zweifels, eines Irrtums, so sehr er sich das gewünscht hätte. Er war im richtigen Haus, bei den richtigen Eltern. Die Ähnlichkeit mit den Darstellungen weihnachtlicher Gemälde war nicht zu übersehen. Wie ein Engel, arbeitete es in ihm, wirklich wie ein Engel, und ich soll jetzt das, was geschehen ist, hier überbringen? Wie, fragte er sich, wie kann ich das tun?
Er verfolgte die Bemühungen des Ehemannes, seine Frau an die Hand zu nehmen und sie zum Sofa zu führen, sah, wie sie sich
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