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Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Titel: Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Wahrscheinlich ist es ein Bekannter aus Tübingen. Lisa wohnt dort. Sie studiert Germanistik, Geschichte und Englisch im fünften Semester.«
    »Die Adresse Ihrer Tochter. Dürfte ich sie bitte haben?«
    »Lisas Adresse?« Haag zögerte, nannte dann die Straße und die Hausnummer. »Sie wohnt mit einer Freundin zusammen. Vanessa Kösel.«
    Braig notierte sich den Namen und die Anschrift, wies auf die Fotos an der Wand. »Ihr Sohn studiert ebenfalls in Tübingen?«
    »Andreas? Nein, er ist für vier Semester in Uppsala.«
    »In Schweden?«, fragte der Kommissar überrascht.
    »Margareta stammt von dort.« Haag wies auf seine Frau, verstummte für einen Moment, runzelte die Stirn. »Aber wieso interessiert Sie das alles? Ich denke, Lisa ist …« Er stockte mitten im Satz, trat einen Schritt auf ihn zu. Mehrere Tränen perlten aus seinen Augen, liefen die Wangen hinab. »Ein Unfall, oder?« Er fuhr sich mit dem rechten Handrücken übers Gesicht, wischte die Tränen ab.
    Braig wusste nicht, was er antworten sollte. Dem Mann die Wahrheit sagen? Seiner ohnehin schon unerträglichen Botschaft zusätzliche Schärfe verleihen? Er sah den lauernden Blick, die ganze, Misstrauen spiegelnde Miene seines Gesprächspartners, wusste, dass er ihm die Wahrheit nicht ersparen konnte, all seinen Bedenken zum Trotz. »Sie müssen verzeihen«, sagte er dann, sich dem Sachverhalt nur vorsichtig nähernd, »es war kein Unfall, nein.«
    »Nicht?« Haags Gesichtszüge verzerrten sich zur Grimasse. Er riss seinen Mund weit auf, versuchte Worte zu finden, seinen Verdacht zu äußern, brachte nur ein hilfloses Stammeln zuwege. »Kein … aber doch nicht …?«
    »Sie wurde erscho …« Braigs Worte erstarben im Schreien zweier schrecklich geplagter Menschen.

6. Kapitel
    Neundorf hatte selten einen Raum mit solch eindrucksvoll zur Geltung gebrachten Bildern erlebt wie diesen. Zwei großformatige, in schlichte hellbraune Holzrahmen gefasste Gemälde, eines an jeder der beiden Längswände, von kleinen, beidseitig angebrachten Strahlern effektvoll in Szene gesetzt. Schon beim Betreten des großen, mit dicken Orientteppichen, zwei voluminösen dunkelroten Polstergarnituren und einem niedrigen rechteckigen Holztisch ausgestatteten Zimmers hatte sie ihrer Begeisterung offen Ausdruck verliehen. Sie war mitten im Raum stehen geblieben, hatte das zauberhafte Porträt eines an einem Wiesenhang mit einem dünnen Stock spielenden Mädchens betrachtet. »Alle Achtung. Sie lieben die Impressionisten?«
    Dr. Manuel Riederich war neben sie getreten, den Stolz des Besitzers des Kunstwerks im Blick. »Sie kennen sich aus, wie ich sehe. Camille Pissarro: Mädchen mit Gerte. Er hat es 1881 gemalt. Das Original hängt in Paris im Musée d’Orsay: Aber der Druck ist auch gut gelungen:»
    »Sehr gut. Und hervorragend ausgeleuchtet.«
    »Eine Idee meines Vaters. Er liebt Pissarro, weil der sich wie er als ein Mensch vom Land und als Sozialist verstand.«
    Neundorf wandte ihren Blick ungläubig von dem Bild weg, musterte den Mann neben sich. »Ihr Vater versteht sich als Sozialist?« Sie zeigte auf die Einrichtung des Zimmers, brachte ihre Skepsis zum Ausdruck. »Das klingt aber etwas widersprüchlich, oder?«
    »Sie dürfen sich nicht täuschen lassen. Meine Eltern lebten immer sehr sparsam. Extrem sparsam. Fast am Existenzminimum, wenn ich es genau ausdrücken darf. Die Firma ist nicht vom Himmel gefallen. Sie geht auf jahre-, eigentlich sollte ich sagen, jahrzehntelange Arbeit und, ja, ich benütze diesen Ausdruck, weil er mir passend scheint, asketische Lebensführung zurück. Wissen Sie, wie meine Schwester und ich aufwuchsen? Wir mussten nach der Schule mithelfen, Metallteile sortieren, jeden Tag. Das waren unsere Spiele: Stücke mit sauber ausgestanzten Löchern in den einen Behälter, Stücke mit weniger perfekter Bearbeitung, aber der Möglichkeit, nachzubessern, in den zweiten und leicht verkorkste Teile in den dritten Behälter. Nur völlig verdorbene Exemplare kamen zum Altmetall und wehe, mein Vater stieß dort auf Stücke, aus denen man mit viel Mühe eventuell doch noch etwas hätte machen können: Dann war das Wochenende für Freizeitvergnügungen jedweder Art gestrichen. Samstag und Sonntag. Dann durften wir zwei weitere Tage sortieren. Sie sollten sich nicht täuschen lassen: Eine Firma mit fast fünfzig Beschäftigten, die konkurrenzfähig bleiben will, lässt sich nicht gerade so aus dem Boden stampfen.«
    »Ihr Vater hat die Firma selbst

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