Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
war dagegen gescheitert. Nach Auskunft seiner Sekretärin befand sich der Mann bis zum Ende der Woche auf einer eminent wichtigen Geschäftsreise durch die asiatischen Länder der ehemaligen Sowjetunion, während der er, der anstrengenden Gespräche mit potenziellen Kunden wegen, keinerlei Störung von der Heimatfront, wie diese sich ausdrückte, wünschte.
Auch der Versuch, Meisner über sein Handy zu lokalisieren, war bisher fehlgeschlagen. Der flüchtige Mann hatte sein Mobiltelefon offensichtlich in Kenntnis der Möglichkeiten der modernen Technik komplett außer Betrieb gesetzt, jedenfalls in den Stunden, seit sie versuchten, ihm auf die Spur zu kommen.
»Sie wissen, wo die Jagdhütte liegt, in der sich Ihr ehemaliger Mann mit Freunden trifft und welche Freunde das sind?«, hatte er Nadine Bihlmaier noch am Telefon gefragt.
»Wir haben seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr«, hatte sie erwidert, »und damals fingen diese Sauf- und Bumspartys gerade an. Tut mir leid, ich kenne keine Jagdhütte. Auch wenn sie einem seiner Freunde gehört.«
Sie hatte sich mit einem wichtigen Termin entschuldigt, das Gespräch auf den Dienstagmorgen terminiert. »Bei mir in Weilheim, zehn Uhr?«
Braig hatte die kleine Wohnung im Dachgeschoss eines Drei-Familien-Hauses am Rand der Altstadt in unmittelbarer Nähe der berühmten Peterskirche schnell gefunden. Das über und über mit Teppichen, Kissen und bequemen Sitzgelegenheiten ausgestattete Wohnzimmer erinnerte ihn an ein kleines Museum. Fotos aller erdenklichen Motive hingen kreuz und quer, teilweise einander überlappend an allen vier Wänden. Große, kleine, schwarz-weiße, bunte.
»Ihr Hobby?«, hatte er gefragt, auf die Wände deutend.
»Mein Beruf«, war ihre Antwort, »so verdiene ich mein Brot.« Sie hatte nach einem dicken Packen farbiger Fotos gegriffen, die vor ihr auf dem Tisch lagen, hatte sie ihm überreicht. »Mein jüngster Auftrag. Deswegen war ich gestern nicht zu sprechen.«
Er hatte die Bilder betrachtet, allesamt Ansichten eines von hellen Farbtönen dominierten Kirchenraumes, der mit seiner schlichten Einrichtung eine angenehme Atmosphäre ausstrahlte.
»Die romanische Martinskirche in Neckartailfingen, eine der bedeutendsten Dorfkirchen im Land. Sie kennen sie?«
Braig hatte den Kopf geschüttelt.
»Sie stammt aus dem frühen 12. Jahrhundert. Einer alten Urkunde sowie der Architektur des Gebäudes zufolge wurde die Kirche von Baumeistern des Klosters Hirsau im Schwarzwald errichtet. Sie steht umgeben vom alten Friedhof leicht erhöht über dem Ort. Im Langhaus überraschen die hohen Proportionen. Sechs mächtige Säulen verleihen der kleinen Kirche eine unerwartete Größe. Die Wandmalereien hier«, sie hatte auf mehrere Fotos gezeigt, »stammen aus dem 13. Jahrhundert. Sie zeigen Christus als Richter der Welt und den Heiligen Martin auf einem Pferd sitzend. Ein ehrenvoller Auftrag für eine gewöhnliche Fotografin.«
»Sie sind auf Kirchen spezialisiert?«
Nadine Bihlmaier hatte laut gelacht. »Sie haben Humor. Nein, die Sache geht wohl eher auf einen Zufall zurück. Letzten Sommer habe ich Fotos für neue Prospekte für die evangelische Weilheimer Peterskirche und die Altstadt hier aufgenommen.« Sie war zu einem kleinen Schrank gelaufen, hatte ihm mehrere großformatige Bilder und einen peppig aufgemachten Flyer in die Hand gedrückt. Rundweg historisches Städtle. Zwanzig Stationen vom Rathaus zur Peterskirche.
»Die Bilder sind wohl gut gelungen. So kam ich zu dem neuen Auftrag.«
Die Fotos zeigten ein über und über mit bunten Gemälden geschmücktes Gotteshaus in einer Pracht und Anmut, wie er es selten gesehen hatte. Ein einzigartig farbenfroher Bilderreigen mit Szenen der christlichen Tradition bis hin zum Jüngsten Gericht überzog sämtliche Wände des Gebäudes. Prächtige bunte Glasfenster ergänzten das Farbenmeer; helle, schlanke Säulen wiesen den Blick zur wunderschön gestalteten Decke. Braig wusste nicht, wie viele Fotos die Frau ihm hier präsentierte – Aufnahmen des Innenraumes aus allen Perspektiven, Detailvergrößerungen unzähliger Motive – glaubte, mitten in der Kirche zu sitzen und ihre Anmut mit allen Sinnen zu genießen. Er betrachtete die schmuckvolle, zentimetergenau, wie ihm schien, zwischen Decke und Empore eingepasste Orgel, sah das filigrane Wunderwerk der an eine der hohen hellen Säulen geschmiegten Kanzel, zu der eine gewundene, wunderschön geschmückte Treppe hochführte. Trotz aller Farbenpracht
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