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Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Titel: Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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wirkte die Kirche nicht überladen, allen Ausschmückungen zum Trotz hatte sie nicht einmal einen Hauch jenes Protzes, den all die gold- und schmucküberladenen Barocktempel ausstrahlten. Die Aufnahmen Nadine Bihlmaiers präsentierten ein Bauwerk von unvergleichlicher Farbenvielfalt, eine einzigartig gelungene Synthese von kontemplativer Atmosphäre und purer Lebensfreude.
    »Mein Gott, ist das schön«, bekannte er deshalb, nach Minuten des Genießens, »und dieses Wunderwerk steht hier in Weilheim?«
    »Keine hundert Meter entfernt«, erklärte sie, wies zum Fenster.
    Er blickte nach draußen, sah den von einer grünen Kuppel gekrönten Turm des Gebäudes, das er wenige Minuten zuvor passiert hatte.
    »Unsere Peterskirche. Im 15. und 16. Jahrhundert im spätgotischen Stil anstelle einer Vorgängerkirche von Peter von Koblenz, dem Baumeister Graf Eberhards im Bart, errichtet. Viele Gemälde wie das Jüngste Gericht vom Kirchheimer Maler Thomas Schick sind original aus derselben Zeit erhalten, andere kamen etwa hundert Jahre später hinzu. Die Orgel des Weilheimer Orgelbauers Andreas Göll stammt aus dem späten 18. Jahrhundert. Die Kirche gefällt Ihnen?«
    Braig musste mit sich kämpfen, um sich von der Pracht der Bilder zu lösen, nickte. »Obwohl ich alles andere als ein Kirchenfreak bin.« Er reichte ihr die Aufnahmen, betrachtete den mehrfach gefalteten Flyer mit Fotos alter Fachwerkhäuser der Stadt. »Sie scheinen ein Faible für sakrale Gebäude zu haben.«
    »Glauben Sie?« Nadine Bihlmaier hatte ein süffisantes Lächeln im Gesicht. »Das ist schön formuliert. Zum Glück ist die Peterskirche evangelisch. Ich fürchte, der Papst würde sich weigern, eine langjährige Model-Fotografin damit zu beauftragen, seine Paläste abzulichten.«
    »Sie arbeiten selbstständig?«
    »Mehr schlecht als recht, wie Sie sich denken können. Leben von der Hand in den Mund, angewiesen auf die sporadischen Aufträge verschiedener Zeitungen. So habe ich auch Meisner damals kennen gelernt. Ein Bericht über die Tätigkeiten einer Werbeagentur. Er war mit seinem Fotografen nicht zufrieden, bot mir die Mitarbeit an. Auf einmal war ich im Boot. Gemeinsam versuchten wir die Bewerber in ein besonders vorteilhaftes Licht zu rücken.«
    »Ein aufregender Job.«
    »Ach, na ja, es klingt aufregender als es in Wirklichkeit ist. Welche Kleidung passt zu welchem Typ, wie lassen sich Makel der Haut oder fehlende Symmetrien des Gesichts effektvoll vertuschen, wie leuchten wir Vorder- und Hintergrund möglichst kontrastreich aus, kurz, wie schaffen wir es, die jeweilige Kandidatin oder den jeweiligen Kandidaten in ein für sie oder ihn vorteilhaftes Licht zu setzen? Das ist harte Arbeit, erfordert einige Anstrengung. Aufregend ist es eher in der Fantasie derer, die mit dem Job nichts zu tun haben.«
    »Aber Spaß macht es Ihnen trotzdem.«
    »Hat es lange gemacht, ja. Arbeit mit Menschen. Jede Person war anders. Mit jeder Bewerberin, jedem Bewerber fing das Projekt wieder neu an. Was die eine vorteilhaft zur Geltung kommen ließ, konnte bei der Nächsten zum Fiasko werden. Da bedurfte es jeden Tag neuer, kreativer Überlegungen. Und die Leute, Weiblein wie Männlein, waren dankbar, manchmal außer sich vor Freude, wenn sie die Bilder, das, was wir aus ihnen gemacht hatten, sahen. Viele konnten es kaum glauben. Vom Aschenputtel zur bezaubernden Prinzessin. Manchmal ist es uns wirklich gelungen. Sie schienen vor Freude durch unser Atelier zu schweben, lachten und strahlten vor Glück. Aber das ist vorbei, endgültig.«
    »Weil Sie sich von Meisner scheiden ließen«, meinte Braig.
    »Das hat miteinander zu tun, ja. Aber das entscheidende Moment sind die Kandidatinnen und Kandidaten. Das sind nicht mehr dieselben Charaktere wie früher. Mädchen, junge Frauen, die mit zwei Beinen im Beruf oder der Ausbildung standen und nebenbei auf einen kleinen Pluspunkt hofften, ein winziges Schmankerl, ein zusätzliches Stück vom Glück. Ab und an mal ein Bild, hin und wieder ein Werbeplakat, das war das Höchste der Gefühle. Aber alles in dem Bewusstsein, dass es nur mit viel, viel Glück zu erreichen und nur als besonderes Geschenk, nicht als Lebensinhalt anzusehen war. Ein Feiertag mehr im Leben, eine zusätzliche schöne Stunde, warum nicht?«
    Sie streichelte ihrem Kater über den Rücken, sorgte für ein neues Tremolo des kräftig schnurrenden Tieres. »Heute dagegen, wen haben Sie da als Kandidaten? Monster, sage ich Ihnen, eine einzige große

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