Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
Gerichtsmediziner zu einer heftigen Gegenrede provoziert.
»Hätte, wäre, könnte … Verzeihung, aber die Sache ist wieder einmal gelaufen«, hatte Dr. Schäffler moniert, »ihr solltet euch besser darum bemühen, den Kerl daran zu hindern, uns noch mehr Opfer zu liefern.«
»Vielen Dank.« Braig hatte sich beleidigt von der Fundstelle der Toten abgewandt, war den schmalen, steinigen Pfad ein Stück waldeinwärts gelaufen, hatte sich per Handy bei den an der Durchsuchung der Umgebung beteiligten Kollegen nach deren Erfolg erkundigt – vergeblich, ohne auch nur einen einzigen Hinweis auf Meisner zu erhalten.
»Der ist längst über alle Berge«, hatte Neundorf gegen 16.30 Uhr, kurz vor Einbruch der Dunkelheit erklärt, sich dann verabschiedet, um Riederich aufzusuchen, den Standort der Jagdhütte im Visier. Sie hatte darauf bestanden, den Besuch bei dem Markgröninger Unternehmer selbst zu übernehmen, »allein schon, um dem Kerl zu zeigen, dass ich mich nicht so schnell einschüchtern lasse, auch nicht von Seinesgleichen.«
»Und wenn er dir keine Auskunft gibt oder sich an den genauen Standort nicht mehr erinnert?«
»Dann haben wir immer noch die Hodenentzündung, obwohl ich mir den wirklich ersparen will.«
Braig hatte die Befragung aller zur Tatzeit in der Burg Anwesenden zu Ende geführt, die Leute dann nach Feststellung ihrer Personalien entlassen. Er hatte versucht, die Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu beurteilen, ihren Kern dann miteinander zu vergleichen, war immer und immer wieder zum selben Ergebnis gelangt: Das markerschütternde Schreien der von dem Rundturm gestoßenen Frau hatte im Burghof eine solche Panik ausgelöst, dass niemand mehr zu einer rational nachvollziehbaren Handlung imstande gewesen war. Fast alle waren aufgesprungen und planlos umhergelaufen, um die Herkunft der aus tiefster Not geborenen Laute zu erkunden; auf einen Mann zu achten, der sich in diesen Augenblicken irgendwo im hinteren Teil des Burghofs zu verstecken suchte, war niemand eingefallen.
»Wer denkt denn auch an so etwas hier oben in dieser Idylle, Herr Kommissar«, hatte Marie Luise Ebeling, eine der von ihm eindringlich befragten Frauen erklärt, »glauben Sie wirklich, wir wandern zur Burg Teck hoch, um nach einem Mörder zu suchen?«
Nein, das war Braig klar, niemand war unter dieser Prämisse an diesem strahlenden Frühsommertag Ende Januar heute hierher gekommen; allein, diese Gewissheit half ihm nicht weiter, nicht einen Schritt. Er spürte den zunehmenden Druck hinter seinen Schläfen, sah die abgekämpften, frustrierten Gesichter der nach und nach in der Burg eintreffenden uniformierten Kollegen, die sich Stück für Stück den steilen, mit dichtem Wald bestandenen Hang hoch gekämpft hatten. Suchhunde bellten, Flüche und Verwünschungen lagen in der Luft. Braig massierte seinen Nacken, versuchte, tief Luft zu holen, um die immer stärker anschwellenden Kopfschmerzen zu ertragen. Warum hatte es wieder so geschehen müssen, weshalb war es ihnen nicht gelungen, dem Mörder zuvorzukommen?
Er wusste es nicht, suchte vergeblich nach einer Antwort. Sisyphos, arbeitete es in ihm, das einzige, was unseren Alltag prägt. Wir wälzen den Felsen mühsam auf den Berg und kaum glauben wir, die Spitze erreicht zu haben, entwischt er uns aus der Hand und rollt zu Tal. Sisyphos hier, Sisyphos da. Wir sind und bleiben die Idioten.
Die Nachricht, dass sie Meisners BMW gefunden hatten, drang nur halbherzig in sein Bewusstsein.
»Wirklich Meisners Fahrzeug? Es gibt keinen Zweifel?«, fragte er skeptisch, das Handy am Ohr.
»Es gibt keinen Zweifel. Das Auto wurde von uns überprüft.«
»Wo steht es?«
»In Bissingen. Auf einem Parkplatz hinter dem Friedhof, wenn Sie den Ort kennen.«
Ob ich den Ort kenne? Langsam fand Braig zu normalem Denkvermögen zurück. Dennis Zeller, Lisa Haags Freund. Er selbst hatte ihn dort besucht. In einer von Bissingens Straßen in der Nähe des Friedhofs. Am letzten Sonntag, vor gerade einmal drei Tagen. Was hatte Dennis Zeller mit Meisners Auto zu tun?
25. Kapitel
Sie?« Dr. Manuel Riederich war die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Wenn er auch krampfhaft darum bemüht war, diese Gefühlsregung zu verschleiern, konnte er doch nicht darüber hinwegtäuschen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie wieder bei ihm auftauchen würde. Jedenfalls nicht so schnell. Nicht, nachdem er seine Kontakte hatte spielen lassen. Kontakte, über die nur Privilegierte wie er
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