Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
wissen. Es wäre dumm, wenn wir an der falschen Stelle suchen.« Sie bat ihn, ihr die Lage der Hütte samt den Zufahrtswegen so detailgenau zu schildern, wie es ihm möglich war, sah, wie er das Gesicht verzog und den Kopf bedächtig hin und her bewegte.
»Also, so genau bekomme ich das nicht mehr auf die Reihe. Es ist mehrere Jahre her, dass wir dort gejagt haben. Irgendwo am Rand des Großen Lautertals, wenn Ihnen das etwas sagt. Das Gestüt Marbach liegt in der Nähe und das Schloss Grafeneck.«
»Schloss Grafeneck?« Sie kannte das hoch auf dem Berg thronende Gebäude, wusste um seine problematische Vergangenheit. Die Nationalsozialisten hatten dort im Rahmen ihres Euthanasie-Programms mehrere tausend unschuldige Menschen ermordet.
»Ja, nicht weit entfernt. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach der genauen Lage oder gar dem Weg zur Hütte. Ich war nur Gast, bin immer nur mitgefahren. Da achtet man nicht so sehr auf all die Abzweigungen unterwegs.«
Sie musterte sein Gesicht, sah keine Veranlassung, ihm zu misstrauen. »Wem gehört die Hütte?«
»Karl Feldkirchner, unserem Steuerberater, soweit ich weiß. Er hatte uns jedenfalls dorthin eingeladen. Hier, Sie sehen ihn doch auf Ihrem Foto.« Er deutete auf den Mann, eine gedrungene, kräftige Gestalt etwas fortgeschrittenen Alters, gab ihr das Bild zurück. »Ich war zwei- oder dreimal eingeladen. Als Kunde seines Büros.«
Sie fragte nach der Nummer des Mannes, wartete, bis Riederich sein Handy aus einem der oberen Stockwerke geholt hatte und die Zahlenfolge auf dem Display präsentierte, notierte sie sich.
»Dann bedanke ich mich für die Auskunft«, sagte sie. »Wobei ich denke, dass Sie meine Fragen nach der Hütte diskret zu behandeln wissen.«
Er hatte den süffisanten Unterton ihrer Stimme offensichtlich vernommen, blieb dennoch freundlich. »Sie wollen mir wirklich nicht erklären, was Ihre Fragen bezwecken?«
Neundorf gab keine Antwort, lief vor ihm her zur Haustür, öffnete sie. »Polizeiliche Ermittlungen, verstehen Sie?« Sie verabschiedete sich mit ungewohnt jovialem Lächeln, wandte sich der schmalen Gasse zu. Die Frau, die genau in dem Moment mit zwei großen Einkaufstüten beladen im Licht einer Straßenlampe auf das Haus zu ging, kam ihr bekannt vor.
»Martina, du warst einkaufen«, hörte sie Riederichs Stimme hinter sich.
Sie sah, wie er ihr die Tüten abnahm, die Frau auf der Stelle umkehrte und zu einem in einer Seitengasse geparkten Auto lief, dessen Kofferraum offenstand. Seine Frau, kam es ihr in Erinnerung an die Fotos, die sie bei ihrem Besuch Riederichs vor wenigen Tagen in der Wohnung gesehen hatte, in den Sinn. Ehefrau, Ehemann, dazu die beiden Kinder, glücklich einander in den Armen haltend, mehrmals hatte sie das Motiv entdeckt. Im selben Moment warf die Frau den Kofferraumdeckel mit einem satten Knall ins Schloss. Neundorf betrachtete das Auto, warf einen Blick auf das Kennzeichen, glaubte, zu träumen.
Wie hatte sie das nur übersehen können!
26. Kapitel
Nicht weit von Stuttgart entfernt stößt der interessierte Naturliebhaber auf einen der weltweit größten Jurassic Parcs, in dem vor Millionen von Jahren riesige Saurier, gewaltige Tintenfische und andere Meeresungeheuer unterwegs waren, verspricht eine clevere Fremdenverkehrswerbung Einheimischen wie Touristen. Die Saurier und die übrigen Ungetüme lassen sich in Schieferplatten eingebettet in unzähligen Steinbrüchen selbst aus dem Fels schlagen. Einst ein tropisches Meer mit Wassertemperaturen von 19 bis 23 Grad Celsius, Fischen, Korallen, Seelilien, Ammoniten, überhaupt einer überwältigenden Lebensfülle, wuchs mit dem langsamen Zurückweichen des Wassers aus dem auf dem Boden des Meeres abgelagerten Schlamm mit all den kalkhaltigen Resten der Korallen, Algen und der übrigen Meeresbewohner im Verlauf vieler Jahrmillionen ein gewaltiges Gebirge heran: Die Schwäbische Alb.
Geprägt von der Majorität kalkhaltiger Steine hat sich dort eine einzigartig karge, durch Verkarstung gekennzeichnete Landschaftsform entwickelt, die von unzähligen Höhlen und Dolinen und – trotz hoher Regenmengen – extremer Wasserarmut charakterisiert wird. Die hohe Löslichkeit des Kalks führte im Verlauf vieler Jahrtausende dazu, dass der Regen nicht auf der Alb-Oberfläche bleibt, sondern in vielen Spalten und Ritzen versickert, die in ausgedehnten Höhlensystemen münden – zur großen Freude der Touristen, die sich Sonntag für Sonntag voller Staunen in diesen
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