Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
Geiselnahme oder die Erstürmung des mutmaßlichen Verstecks eines Verbrechers wie heute. Die Männer waren alle durchtrainiert, standen unter der ständigen Beratung eines Psychologen, galten ihren Mitbürgern gegenüber als normale Polizeibeamte. Welchen Gefahren sie oft ausgesetzt waren, ahnten bestenfalls ihre Familienangehörigen, niemand sonst. Über alle beruflichen Vorgänge waren sie zu absolutem Schweigen verpflichtet.
Braig hörte über sein Funkgerät den Einsatzbefehl des Truppenführers, spürte die Anspannung. Würde es ihnen jetzt endlich gelingen, Meisner festzunehmen?
Ein lauter Knall erschütterte die Stille des Waldes, rollte im mehrfachen Echo zurück. Stimmen erschollen aus der Ferne, laute Rufe, dann verebbten die Geräusche. Plötzlich Stille, das Dunkel der Nacht. Braig fieberte auf eine Nachricht aus seinem Funkgerät, hörte nur ab und an ein leichtes Knarzen, fühlte sich mehr und mehr beunruhigt. Waren sie dabei, den Mann zu überwältigen, oder war er, vielleicht durch einen ihnen unbekannten Hinterausgang, ein Fenster, einen selbst geschaffenen Spalt, völlig unerwartet doch entkommen?
Braig spürte seine wachsende Nervosität, hatte Schwierigkeiten, die Ungewissheit zu ertragen. Was ist los, ist es ihm wirklich gelungen, abzuhauen? Hat er es tatsächlich geschafft, dieser bestens ausgebildeten Truppe zu entwischen?
Er nahm seine Taschenlampe fest in die Hand, ließ ihren Schein über den Boden flackern, stapfte in die Richtung der Hütte. Äste knackten unter seinen Füßen, alle paar Meter stieß er an einen Stein. Plötzlich knarzte das Funkgerät.
»Herr Hauptkommissar.«
»Ja?« Braig konnte seine Neugier kaum noch zurückhalten.
»Wir haben die gesamte Hütte durchsucht. Erdgeschoss und die Mansarde darüber.« Die Stimme des Truppenführers klang sachlich und ohne jede Emotion. »Sämtliche Schränke, die Betten, auch die nähere Umgebung.«
»Und?«, rief Braig. Er stolperte über einen Ast auf dem Boden, klammerte sich an einem Baumstamm fest.
»Nichts«, antwortete sein Gesprächspartner, »keine Spur eines Menschen.«
27. Kapitel
Neundorf hatte auf der Stelle begriffen, was ihre Beobachtung bedeuten konnte. LB – EL. Ein roter BMW. Riederichs Frau. Alles passte.
Natürlich hatte sie die unter Riederichs Namen angemeldeten Fahrzeuge längst überprüft, die Möglichkeit von Anfang an ins Auge gefasst. Der sich mit jungen Gespielinnen vergnügende Gatte, die gehörnte Ehefrau. Ein BMW war nicht dabei gewesen. Vielleicht hatte sie sich das Auto von jemand geliehen, ein paar Tage oder Wochen, nicht damit rechnend, dass die Polizei zu ihr ins Haus kommen würde. Menschen, die aus Eifersucht handelten, legten oft eine erstaunliche Naivität an den Tag, das wusste Neundorf aus Erfahrung. Getrieben von ihren Emotionen ließen sie die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen bei ihrem Vorgehen außer Acht. Hatte es sich so abgespielt?
Riederichs Frau war seiner Untreue auf die Schliche gekommen, hatte ihn und die in ihren Augen Hauptverantwortliche dafür strafen wollen? Vielleicht wusste sie schon länger von seinen Seitensprüngen, hatte hinter ihm her spioniert, ihn endlich ertappt und dann zur Rechenschaft ziehen wollen? Wenn er, wie sie inzwischen herausgefunden hatten, an dieser Model-Agentur Meisners beteiligt war, was sprach dagegen, dass er sich fleißig des dort vorhandenen Angebotes an Frischfleisch bediente? Seine unbekannte Begleiterin in Backnang. Eine dieser erfolgssüchtigen European Angels, alle paar Tage, Wochen oder Monate – je nach Bedarf – ausgetauscht gegen den nächsten willigen Engel?
Neundorf zweifelte nach ihren Begegnungen mit dem Mann nicht daran, dass er spielend imstande war, etliche dieser jungen, nach öffentlichem Ansehen und Berühmtheit lechzenden Frauen mit üppigen Versprechungen und viel Geld zu verführen und sie sich sexuell gefügig zu machen, je nach Lust und Laune. Was, wenn er das seit Jahren so praktizierte – die ohnmächtige Ehefrau an seiner Seite mit immer neuen Ausreden beruhigend? Sie hatte es hingenommen und ertragen, mit angesehen und akzeptiert, den Kindern, der angeblich heilen Familie wegen. Man musste den Verwandten und Bekannten schließlich zeigen, in welchem Glück, in welcher Harmonie man lebte. Bis ihr jetzt, aus welchem Grund auch immer, der Kragen geplatzt, die Geduld ausgegangen war. Sie hatte sich das Auto ausgeliehen, ihm nachspioniert, dann die erste Gelegenheit beim Schopf gepackt und das Gaspedal
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