Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
den Ort führte. Schwengers Wohnung lag in einem unweit des kleinen Zentrums gelegenen Mehrfamilienhaus. Der Kommissar überflog die Namen am Klingelbord, drückte auf die gesuchte Glocke. Kurz darauf summte der Türöffner, Braig trat ins Treppenhaus. Er folgte den Stufen nach oben, sah sich im ersten Obergeschoss einem etwa fünfzig Jahre alten Mann gegenüber, der vor der geöffneten Wohnungstür gerade in ein dunkelblaues Hemd schlüpfte.
»Herr Braig?« Er stopfte sich das Hemd in die Hose, bat um Entschuldigung. »Leider bin ich noch nicht ganz fertig. Ich habe mich nur kurz aufs Ohr gelegt.« Er knöpfte sein Hemd zur Hälfte zu, reichte dem Besucher die Hand. »Meine Frau ist noch im Geschäft, ich kann Ihnen nicht viel anbieten«, fügte er zur Erklärung hinzu. »Kommen Sie bitte und trinken einen Kaffee mit.«
Braig sagte zu, ließ sich in ein helles, mit bequemen Holzstühlen ausgestattetes Zimmer führen, nahm an dem Tisch in der Mitte des Raumes Platz. Schwenger brachte eine Kaffeekanne, zwei Tassen mit Untertellern, stellte einen kleinen Pappkarton mit Milch dazu.
»Ich will Sie nicht von Ihrem Essen abhalten«, sagte Braig, »ich denke, meine Fragen dürften Ihnen keine großen Schwierigkeiten bereiten.«
»Ich hoffe nicht. Sie wünschen Auskunft zu unserer Firma, eventuellen Problemen mit Kriminellen wegen unserer Waffentechnologie und der Stellung von Herrn Binninger, erwähnten Sie am Telefon.« Sein Gegenüber schaute ihm offen in die Augen. »Was das Essen anbelangt: Das kommt später. Mit meiner Frau und den Kindern.« Er schenkte seinem Besucher Kaffee ein, schob ihm die Milch zu. »Zucker?«
Braig winkte ab.
»Das gemeinsame Essen ist uns heilig«, erklärte Schwenger. »Ich bin einfach zu viel unterwegs.«
»Weil die Firma Sie so in Anspruch nimmt.«
Der Mann nickte, nahm sich selbst von dem Kaffee, setzte sich Braig gegenüber an den Tisch.
»Göttler ist gewaltig im Umbruch, und jetzt nach dem Tod von Herrn Schmiedle und der Sache mit Herrn Binninger …« Er ließ den Rest des Satzes offen, nippte an seiner Tasse.
»Herrn Schmiedles Tod bereitet Ihnen Probleme?«
»Das kann man so formulieren, ja. Wir stehen mitten in einem radikalen Umbruch, und Herr Schmiedle war unser, ich spreche von den Arbeitnehmern, treuester Verbündeter. Mitten im Kampf gestorben, wissen Sie. Das wird nicht einfach.«
»Sie sprechen von seinem neuen Entlohnungsmodell?«
Schwenger stellte seine Tasse zurück und nickte. »Genau. Wir haben jahrelang gekämpft, bis die Geschäftsleitung endlich zähneknirschend bereit war, es damit zu versuchen. Und noch sind wir im Probestadium. Herrn Schmiedles Tod kommt da einigen Leuten ganz schön gelegen, wenn ich das mal so formulieren darf.«
Braig hatte seine Tasse schon am Mund, stellte sie wieder zurück. »Schmiedles Tod kommt einigen Leuten gelegen? Wie meinen Sie das?«
Der Mann knöpfte sein Hemd vollends zu, fuhr sich mit seiner Rechten durch seine spärlichen, stark angegrauten Haare. Er atmete kräftig durch, musterte sein Gegenüber. »Sie kennen die Situation vieler Betriebe des Maschinenbaus?«
»Immer stärkere Spezialisierung, immer mehr elektronische und computergesteuerte Komponenten, weltweit zunehmende Konkurrenz.«
»Oh, mir scheint, Sie sind vom Fach.« Schwenger nickte anerkennend. »Ja, früher haben wir immer geglaubt, das geht ewig so weiter: Wir Deutschen produzieren hochwertige Technologie für teures Geld und in immer größeren Mengen und der Rest der Welt kauft uns alles ab. Alle warten nur auf unsere Erzeugnisse. Wir sind die Exportweltmeister.«
»Die Zeiten sind vorbei?«, warf Braig ein.
»Sagen wir mal so: Sie gehen wohl ihrem Ende entgegen. Warum auch immer. Das hat viele Gründe. Die anderen können inzwischen auch einiges, zum Beispiel. Ein paar intelligente Leute, wer hätte das gedacht, gibt es auch in anderen Ländern. Und dann haben wir es auch noch mit den Skrupellosen zu tun, die einfach alles abkupfern, unsere Produkte bis auf den letzten Millimeter auseinandernehmen und dann Stück für Stück nachbauen. Ohne jede Rücksicht auf die Kosten jahrelanger Entwicklungsarbeit. Der Wettbewerb ist gnadenlos. Die Welt ist nicht auf uns angewiesen.«
»Sie meinen, uns geht die Arbeit aus?«
Schwenger wiegte seinen Kopf bedächtig hin und her. »Sie wird auf jeden Fall weniger, sagen wir es mal so. Dieser Trend ist nicht mehr aufzuhalten, allen Politschwätzern zum Trotz.«
»Und da setzt Schmiedles Modell
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