Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
ein.«
»Genau. Weniger Arbeit für eine gleichbleibende Zahl von Angestellten. Und weil die Spitzenverdienste deutlich reduziert und die Zuwächse in Zukunft für alle gleich hoch oder niedrig ausfallen, müssen die mit den kleinen Einkommen mittelfristig keine Einbußen hinnehmen. Das ist genau das richtige Konzept für diese Zeit.«
»Und trotzdem, sagen Sie, mussten Sie kämpfen, es durchzusetzen.«
»Das ist noch sehr vornehm ausgedrückt.« Schwenger hatte seine Stirn in Falten gelegt. »Sie sollten meine Frau fragen. Sie musste wochenlang weg, samt den Kindern. Zu ihren Eltern.«
»Wie bitte?«
»Telefonterror, anonyme Briefe, verlogene E-Mails, Verleumdungen, die überall kursierten, meine eheliche Treue bzw. die meiner Frau betreffend, ehrverletzende Behauptungen über die Kinder. Sie werden es nicht glauben. Der altstalinistische Gewerkschafter, der das System umstürzen will, darauf lief es hinaus.«
»Weil Sie sich für Schmiedles Modell engagierten?«, fragte Braig.
»Genau deswegen. Die Mächtigen dieser Gesellschaft sahen den ersten Dominostein ihrer Herrschaft fallen. Das darf nicht sein.«
»Herr Schmiedle wurde ebenfalls bedroht?«
Schwenger nickte. »Ich an seiner Stelle wäre wahnsinnig geworden. Er aber …«, er trank von seinem Kaffee, kratzte sich am Kopf, »er nahm es nicht ernst. Wie das ganze Leben. Er war ein anderer Typ. Irgendwie so …«
»Leichtfüßig, die schönen Seiten des Lebens genießend, die weniger erfreulichen schnell vergessend?«
»Sie sagen es. Er nahm seine Gegner irgendwie nicht für voll, so wie das gesamte Leben. Eine Beziehung nach der anderen … Fast jedes Mal, wenn ich ihn mit einer Frau traf, alle paar Wochen, musste ich einen neuen Namen lernen. Mal blond, mal dunkelhaarig. So war sein ganzes Leben. Bis auf seinen beruflichen Ehrgeiz. Was er sich vorgenommen hatte, das boxte er durch. Sein Modell zum Beispiel. Da blieb er stur, das war einzigartig.«
»Wem passte sein Modell überhaupt nicht in den Kram? Wer sind diese Organisationen oder Leute? Haben Sie Namen?«
Schwenger seufzte laut auf, erhob sich von seinem Stuhl. »Sie fragen vielleicht Sachen.« Er lief zwei Schritte zum Fenster, blickte nach draußen auf den vorgelagerten Balkon. »Es ist sehr schwierig, in dieser Sache offen zu sprechen. Wenn ich Ihnen jetzt Organisationen nenne, die uns und unser Modell über Jahre hinweg unnachgiebig bekämpft haben und Sie gehen hin und nehmen deshalb Ermittlungen auf, habe ich zwanzig Gerichtsverfahren gleichzeitig am Hals. Die kennen keinerlei Skrupel.«
Braig wusste aus Erfahrung, dass der Mann den Sachverhalt vollkommen korrekt, ohne jede Übertreibung schilderte. Die Besitzstandswahrer dieser Gesellschaft, die Etablierten kannten keine Rücksicht, wenn es darum ging, ihre Macht, ihren Einfluss, ihren Besitz zu verteidigen. Er versprach Schwenger deshalb, seine Aussagen in dieser Sache in keiner Weise zu Protokoll zu nehmen, irgendjemand gegenüber zu erwähnen oder sonst wie zu fixieren, zählte dann selbst die Organisationen der Reihe nach auf, deren Namen er im Verlauf dieser Ermittlungen mehrfach gehört hatte. Sein Gegenüber, mit dem Gesicht nach draußen blickend, nickte unablässig.
»Das ist eine ganze Litanei, die fast kein Ende findet«, seufzte Braig, »und alle wollen Schmiedles Modell partout verhindern?«
»Bis hinein in die Gewerkschaften«, ergänzte Schwenger, sich dem Kommissar zuwendend und dessen Überraschung mit nachhaltigem Kopfnicken bestätigend. »Auch da gibt es Besitzstandswahrer.«
Braig nahm seine Tasse auf, trank sie vollends leer.
»Aber über diese Entwicklung wollen wir jetzt wirklich nicht spekulieren«, erklärte sein Gesprächspartner, demonstrativ auf seine Uhr schauend, »oder?«
»Nein«, bestätigte der Kommissar, »das sprengt eindeutig den Rahmen unserer Unterhaltung.« Er stellte die Tasse zurück, erhob sich ebenfalls. »In der Firma selbst gab es aber keinen allzu großen Widerstand, habe ich gehört. Zwei Manager, die mit den reduzierten Gehältern nicht einverstanden waren, sind gegangen …«
Er wurde vom lauten Lachen Schwengers unterbrochen. »Keinen Widerstand? Wer hat Ihnen denn diesen Bären aufgebunden?«
»Na ja, Herr Kober …«
Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Dann sind Sie ja bestens informiert. Da hätten Sie ja gleich Binninger fragen können.« Die Ironie in seinen Worten war nicht zu überhören.
»Binninger?«
»Also, Sie sind doch der Kriminalbeamte! Weshalb haben Sie
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