Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
nur Binningers Fußabdrücke im Innenraum der Toilette der Ebene vier der Liederhalle entdeckt, sondern auch Stoffpartikel seines dunkelgrauen Anzugs an Schmiedles Leiche wie an der Tür der Kabine identifiziert, in der er sein Opfer abgelegt hatte.
Nicht weniger erfolgreich hatten sie bei der Überprüfung der Aussichtskanzel des Schlosshofes von Lichtenstein wie der Leiche Michael Napfs gearbeitet: Sowohl an der Absturzstelle als auch an den körperlichen Überresten des Toten war es ihnen gelungen, Fasern einer Jeans zu identifizieren, die ihnen in Binningers Kleiderschrank in die Hände gefallen war. Die von mehreren Zeugen beschriebene Kapuzenjacke des Mannes war zwar nicht mehr aufzutreiben – er hatte sie nach eigener Aussage auf der Rückfahrt von Lichtenstein irgendwo an einem ihm selbst nicht mehr bekannten Ort im Wald vergraben – doch verfügte das LKA inzwischen über eine dermaßen weit entwickelte Faseridentifikationstechnologie, dass der Fund seiner am Tatort getragenen Jeans gereicht hatte, ihn des Verbrechens zu überführen.
»Damit haben wir wieder einmal die anfangs sehr schwierig erscheinenden Investigations successful zu Ende gebracht«, hatte Söderhofer unmittelbar nach der Unterzeichnung des Geständnisses zufrieden geäußert, »ich fühle mich sehr geehrt, dass ich Ihnen als Spin Doctor dazu die entscheidenden Impulse vermitteln konnte.«
Den Kommissaren hatte es angesichts dieser Ausführungen für einen Moment die Sprache verschlagen. Schlagworte wie professionelles Technologiemanagement, effiziente Prozessoptimierung, konsequent realisiertes Evaluations-Briefing in Kombination mit forciertem Brainstorming und internem und externem Benchmarking waren auf sie niedergegangen, bis der Staatsanwalt seine Ausführungen schließlich mit der Bemerkung beendet hatte: »Aber in dieser Causa criminalis manifestierte sich wieder einmal, wie die eheliche Untreue einer Frau ihren Mann ins Verderben laufen ließ.«
Neundorf hatte an sich halten müssen, nicht laut loszuschreien. »Ach Gott, wie einfach ist die Welt«, hatte sie gelästert, »und was wäre sie doch ein Paradies und welch himmlischer Friede herrschte unter den Menschen, gäbe es nicht das böse Weib, das alle in Versuchung führt.«
Söderhofer hatte sie verwundert betrachtet, war dann ohne ein weiteres Wort aus ihrem Büro gegangen.
»Ist der wirklich so borniert?«, fragte sie. »Das gibt es doch nur im Roman oder im Film, oder?«
»Ich fürchte, die Realität ist weit schlimmer als jeder Roman. Klischees entstehen nicht aus heiterem Himmel. Sie gehen auf reale Vorbilder zurück«, meinte Braig.
Neundorf lief zu ihrer Kaffeemaschine, schenkte sich eine Tasse voll. »Du auch?«
Er winkte ab, zeigte auf seinen Bauch. »Ich habe schon drei. Das reicht vorerst.«
Die Kommissarin setzte sich an ihren Schreibtisch, trank. »Es gibt da noch eine Menge seltsamer ungeklärter Phänomene, die dieser Idiot«, sie deutete auf die Tür, »anscheinend nicht bemerkt hat. Die Eltern Michael Napfs wie auch Annika Jung bestehen darauf, dass Napf nicht hinter dieser Erpressung steckt, ich habe heute Morgen lange mit ihnen telefoniert.«
»Na ja«, wandte Braig ein, »das ist kein Argument. Es gibt wohl keinen Angehörigen, der seinen toten Verwandten oder Freund gerne als Verbrecher in Erinnerung behält.«
»Das ist richtig, ja. Aber mich hat doch einiges von dem, was ich da gehört habe, stutzig gemacht. Dass Napf sich gerne und intensiv mit Computern beschäftigte, steht außer Frage, das bestätigten beide. Das war sein großes Hobby, meinte seine Freundin. Sie wusste auch, ebenso wie seine Eltern, dass er diese irrsinnig teure Software, mit der man Fotos so profimäßig manipulieren kann, dass es niemand merkt, seit zwei Monaten etwa auf seinem Rechner hatte – Dolde hat sie ja bei der Überprüfung seines Zimmers entdeckt. 3.000 Euro kostet das Zeug, viel Geld für einen Zivi, der angeblich kein großes Nebeneinkommen hatte. Die Software ist der pure Wahnsinn, unglaublich, was man da alles mit anstellen kann, habe er zu ihr gesagt, erzählte mir Annika Jung, die habe ich geschenkt bekommen für ein paar Gegenleistungen. Ich muss mit ihr ein paar Bilder faken, eine irre Sache, schließlich soll es niemand merken. Irgend so ein Partygag – die Leute wissen heute doch nicht mehr, womit sie die anderen noch überraschen sollen. Dafür hat er mir sie aber geschenkt.«
»Das sagte Napfs Freundin?«
»Sie erzählte noch mehr. Micha
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