Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Sekunden vollkommen aus. Außer Zigaretten, Schoko-Artikeln und Alkoholika hatten sie bisher nichts mitgenommen, auch diese Artikel freilich nur in geringen Mengen und nicht bei jedem Überfall. Wie die Videobilder eindeutig zeigten, handelte es sich immer um das selbe Paar, zwei relativ kleine, maximal 1,68 Meter große, vom Körperbau her kräftige, durchtrainierte Männer, den flinken Bewegungen nach kaum mehr als dreißig Jahre alt. Von ihrer Schusswaffe hatten sie bisher nur zweimal Gebrauch gemacht, dies aber jeweils so kaltblütig, dass sich alle ermittelnden Kräfte im Bereich des Landeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft darüber einig waren, dass es sich bei den Tätern um professionell vorgehende, vor nichts zurückschreckende Personen handelte. Bei einem der ersten Überfälle hatte sich der Hinkende, wie Neundorf und ihre Kollegen den einen Mann – seiner etwas den linken Fuß nachziehenden Bewegungsweise wegen – nannten, als so skrupellos erwiesen, dem Verkäufer in den rechten Arm zu schießen, weil der nicht sofort bereit gewesen war, die Kasse zu öffnen. Drei Wochen später hatte der andere Verbrecher bei der Flucht auf einen zufällig in diesem Moment an der Tankstelle vorgefahrenen Kunden gezielt, der die Geistesgegenwart und den Mut aufgebracht hatte, die beiden Männer mit seinem Wagen zu verfolgen. Den im rückwärtigen Teil seines Autos aufgefundenen Kugeln zufolge hatte der Täter mindestens zweimal auf ihn geschossen, ihn wie durch ein Wunder aber nicht getroffen. Weil er sich impulsiv nach unten weg geduckt hatte, war er am Rand der Tankstelle auf den dort postierten Müllcontainer geprallt, hatte sich zum Glück aber nur leicht verletzt. Immerhin war es ihm aber gelungen, das Fluchtfahrzeug der beiden Täter zu erspähen und es auf den Typ und die Farbe genau, einen dunkelblauen Opel Vectra nämlich, zu beschreiben.
Da diese Beobachtung mit der Aussage zweier Augenzeugen eines anderen Tankstellenüberfalls übereinstimmte, waren die Fahnder dazu übergegangen, Besitzer dieser Automarke zu überprüfen, bisher allerdings erfolglos. Sie hatten weder verdächtige Personen aufgespürt noch war es ihnen geglückt, die Befürchtung auszuräumen, dass es sich eventuell um ein gestohlenes Fahrzeug handelte.
Auch die Überprüfung der von den Tätern verwendeten Munition und ihrer Waffen hatte noch keine Fortschritte gebracht. Beide benutzten Pistolen der Marke Beretta, was die Vermutung einiger Ermittler, es handle sich um aus Osteuropa stammende Täter, weiter verstärkte. Ob die Männer aber wirklich zu einer von dort aus im Westen operierenden Verbrecherbande gehörten, war nicht einmal in Ansätzen geklärt.
Vier Nächte hintereinander hatten sie jetzt mit einem Massenaufgebot an überwachenden Beamten Tankstellen im gesamten Kernland Württembergs mit aller gebotenen Diskretion im Auge behalten, darauf hoffend, die Räuber auf frischer Tat zu ertappen und der Überfallserie ein für allemal ein Ende zu bereiten. Neundorf hatte die Karte vor sich ausgebreitet, auf der alle in den letzten Wochen attackierten Tankstellen verzeichnet waren. Wie weitermachen, mit welcher Taktik auf die, immer größere Unruhe in der Öffentlichkeit hervorrufenden Vorfälle, reagieren? War die aufwändige, finanziell mehr und mehr ausufernde Überwachungsaktion, die auf ihre und ihres Kollegen Ohmstedts Bemühungen zurückgingen, trotz ihrer offenkundigen Erfolglosigkeit noch länger zu rechtfertigen?
Sie hatte tief durchgeatmet, klare Gedanken zu fassen versucht. Weshalb hatten die Täter – ihrer bisherigen Gewohnheit zum Trotz – noch nicht wieder zugeschlagen? Wieso war in den vergangenen Nächten kein neuer Überfall erfolgt? Hatten die Verbrecher oder ihnen zuarbeitende Verbündete die vorbereitenden Aktionen samt einigen der zur Überwachung eingeteilten Kollegen bemerkt? Oder gab es im Bereich des an den Tankstellen beschäftigten Personals Spitzel, die den Tätern – gegen entsprechendes Entgelt vielleicht – Hinweise auf die erhöhte Wachsamkeit der Polizei und ihre präventiven Maßnahmen hatten zukommen lassen? Natürlich waren sie im Verlauf der vergangenen Wochen auf die meisten Tankstellenpächter zugegangen, hatten versucht, die Leute, deren Nerven oft mehr als blank lagen, zu beruhigen und sie ihrer erhöhten Aufmerksamkeit zu versichern. In einem dieser Punkte mussten wohl die Ursachen zu finden sein, die die Täter von neuen Überfällen hatten absehen lassen. Waren die Männer
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