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Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Braig & Neundorf 12: Schwabenehre

Titel: Braig & Neundorf 12: Schwabenehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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einer Bar, einer stillen Ecke oder draußen vor dem Kongresszentrum, das ist oft eine gute Gelegenheit, Leute zu kontaktieren, die beruflich ebenfalls viel Stress und wenig Zeit haben. Wir wollten uns vor dieser Toilette treffen. In Ebene vier ist es meistens sehr ruhig, das weiß ich aus Erfahrung, vor allem, wenn die beiden Tagungsräume dort oben nicht benutzt werden. Ich bin oft bei Kongressen in der Liederhalle zu Gast, das ist ein wunderbarer Ort mitten in der Stadt, von überall her optimal zu erreichen, hervorragende Ausstattung im ganzen Haus und der Hegelsaal – einfach ein Juwel. Mehrere ausgezeichnete Restaurants und Bars in unmittelbarer Nähe, das Hotel Maritim durch einen überdachten Zugang direkt angebunden – besser können Sie nicht tagen. Manchmal, in der Mittagspause oder einfach auch so zwischendurch, habe ich direkt nebenan auf dem Hoppenlau-Friedhof die interessantesten Gespräche geführt, Geschäftspartner getroffen und sie mit den illustren Verstorbenen dieses Ortes bekannt gemacht – Sie wissen, wer dort begraben liegt? Wilhelm Hauff zum Beispiel, dieser von mir hoch verehrte, gerade einmal 25 Jahre alt gewordene Dichter, nach dessen Roman Lichtenstein jenes traumhafte Schlösschen hoch über dem Steilabfall der Alb gebaut wurde – Sie kennen es bestimmt.
    Ja, die Liederhalle, ich sage Ihnen, das ist nicht ein einfaches Tagungszentrum, nein, ein ganz besonderer Kongresstempel. Dieses Haus sucht weit und breit seinesgleichen.« Dr. Enssle unterbrach seine Ausführungen, schaute zum Tisch, bat seine Gäste, sich zu bedienen. »Ihr Kaffee und das Wasser, verzeihen Sie, ich will Sie nicht drängen, aber zumindest der Kaffee – kalt schmeckt er nicht so gut.«
    Braig wusste nicht, was er mehr bewundern sollte: die Verwandlung des Mannes von einem zutiefst getroffenen, jeden Selbstbewusstseins beraubten Menschen, der ihm vor zwei Tagen in der Liederhalle begegnet war, hin zu einem mit der üblichen Aura des Erfolgreichen auftretenden Managers, der mit gelassener Souveränität seine Show abzieht, um den Kern ihres Anliegens zu entschärfen oder die eiskalte Gerissenheit, mit der er allein durch einen gezielten Anruf beim zuständigen Staatsanwalt ihre Ermittlungstätigkeit ins Leere laufen ließ. Dieser Enssle hatte seine an Machtfülle kaum zu überbietende Position nicht umsonst erreicht, war offensichtlich auch nicht bereit, auch nur einen Bruchteil davon in Frage stellen zu lassen. Aber war das nicht von Anfang an so zu erwarten gewesen?
    Er griff nach der Tasse, trank von dem Kaffee, der genau richtig temperiert war, um seinen Geschmack optimal zur Entfaltung zu bringen.
    »Sie fragen sich sicher, was ich in der Toilette zu suchen hatte, wo ich mich doch mit Herrn Schmiedle treffen wollte, außen, vor dem Eingang?« Dr. Enssle schenkte seinen beiden Besuchern ein freundliches Lächeln.
    »Das fragen wir uns, ja«, bestätigte Riedinger.
    »Ich denke, Sie werden es verstehen«, fuhr der Mann fort. »Ganz einfach: Ich musste mal. Und da mein Gesprächspartner noch nicht an Ort und Stelle war, wollte ich sozusagen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.« Er behielt sein freundliches Lächeln bei, schaute der Kommissarin offen in die Augen.
    »Das Urinal genügte Ihnen nicht?«, warf Braig ein. »Sie wollten bewusst in eine der Kabinen am Ende der Toilette?«
    Dr. Enssles Antwort kam ohne jedes Zögern. »Das habe ich mir so angewöhnt, ja. Auf besonderen Wunsch meiner Frau. Sie wissen, die Kräfte der Physik … Ein Strahl, der auf einen harten Gegenstand trifft, wird zumindest teilweise reflektiert …« Sein Lächeln war einem sanften Grinsen gewichen.
    »Und weil Sie das zu Hause so praktizieren …?«, sagte Braig.
    »Genau. Das ist mir inzwischen in Heisch und Blut übergegangen. Gewohnheiten …«
    »Was ist mit den Türen der Kabinen, sie waren alle offen?«
    Dr. Enssle musterte Braigs Gesicht, schaute dann zur Seite, überlegte. »Das haben Sie mich vorgestern schon gefragt, richtig?« Er sah das zustimmende Nicken seines Gegenüber, schob seine Unterlippe vor. »Ich war vollkommen durcheinander, nachdem ich den Mann so über der Schüssel hängen sah … Ich weiß nicht mehr genau, wie ich zu der Kabine kam, mein Gott, ich habe mit allem gerechnet, nur nicht damit. Sie spüren ein Bedürfnis, gehen in die Toilette und dann …« Er schwieg, schüttelte, zur Seite blickend, seinen Kopf.
    Braig erinnerte sich der Niedergeschlagenheit des Mannes zwei Tage zuvor. Völlig

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