Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Riedinger brachte ihre Überraschung offen zum Ausdruck. »Sie wollen sagen …«
»Ich verbitte mir solche Anschuldigungen. Was sollte ich mit solchen Fotos?« Er setzte seine Brille ab, trat an seinen Schreibtisch, holte eine andere, ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder, beugte sich, die neue Brille auf der Nase, über die Bilder. »Schmiedle. Und das wird wohl eine seiner vielen Bekannten sein, ja?«
»Sie kennen die Frau nicht?«
»Meine sehr geehrte Frau …«
»Riedinger«, ergänzte die Kommissarin.
»Ich wiederhole noch einmal: Ich sehe die Fotos hier zum ersten Mal. Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten. Aber mit solchen Mitteln arbeite ich und arbeiten auch meine Kollegen nicht. Das haben wir nicht nötig. Glauben Sie mir: Wir haben effektivere Methoden, unsere Ziele zu erreichen. Und wir sind fast immer erfolgreich, das dürfen Sie wirklich mit nach Hause nehmen.«
Braig hatte keinerlei Zweifel, was die Aussage des Mannes anbetraf.
23. Kapitel
Noch bevor er sein Auto erreicht hatte, war Aupperle mitten auf dem Gehweg der Leuschnerstraße in Esslingen stehen geblieben und hatte das Album aus seiner Ledermappe gezogen. Von brennender Neugier getrieben, hatte er die Mappe zwischen seine Beine geklemmt, das mit hochinteressanten Bildern bestückte Buch aufgeschlagen und darin herum geblättert. Kitty Link, Leonie Maier, Lydia Pfisterer. Ob ein Besuch bei ihnen genauso enttäuschend verlaufen würde wie der bei Nina Jaissle? Die Frau hatte sich eindeutig zu ihrem Nachteil verändert, weiß Gott. Kurze Stoppelhaare statt der ursprünglichen langen schwarzen Mähne – ein Abstieg um mehrere Klassen. Wie von der Bundesliga in die Bezirksklasse, um im Fußballjargon zu sprechen. Dazu das zickige, dauergereizte Verhalten bei seinem kurzen Besuch. Kein Wunder, dass Schmiedle sich anderweitig umgesehen hatte. Bei dieser Melanie Schunter oder Schuster oder so ähnlich. Hätte er an dessen Stelle auch getan. Wozu sich diesem Psychoterror aussetzen, wenn es die Freuden einer Beziehung auch auf wesentlich angenehmere Weise zu erleben gab?
Er hatte weitergeblättert, ihr Bild tatsächlich entdeckt. Hatte diese Jaissle also nicht gelogen, sofern man den hier eingetragenen Bemerkungen vertrauen konnte. Melanie Schunter, Tübingen, 15.9. – 27.11.08, hatte er gelesen. Die Straße fehlte, dafür war ihre Handynummer aufgeführt.
Dann hatte der Ermordete es tatsächlich bis zur Zeit des Weihnachtsmarktes mit dieser Melanie ausgehalten. Zweieinhalb Monate, ein Rekord, wenn er die bisher aufgelisteten Zeiträume bedachte.
Aupperle hatte das Bild Melanie Schunters studiert, das leider kaum größer als ein Passfoto war und nur ihr Gesicht zeigte. Glatte blonde Haare bis zur Schulter, stark geschminkte, verlockend in die Kamera blinzelnde Augen, kleine Nase, voller, üppig mit tiefrotem Lippenstift geschmückter Mund. Lebensfreude pur, die hatten bestimmt viel Vergnügen miteinander gehabt. Bis die Liaison plötzlich beendet war, mit einem großen Knall und heftigen Emotionen, falls das zutraf, was Nina Jaissle ihm erzählt hatte.
Er hatte das Album zugeklappt, seine Ledermappe wieder aufgenommen. Schade, dass von der Frau nicht mehr zu sehen war. Wie von ihrer Vorgängerin oder von Kitty Link. Ob sie eine ähnlich gute Figur zu bieten hatte?
Aupperle war zu seinem BMW marschiert, hatte die Mappe und das Buch auf den Beifahrersitz gelegt und sich hinters Steuer geklemmt. Garantiert, war er sich sicher. Wenn Schmiedle es zweieinhalb Monate mit dieser Melanie Schunter ausgehalten hatte, musste es sich um ein Rasseweib handeln, nach allem, was er bisher von den Kurzzeit-Partnerinnen des Mannes gesehen hatte. Er hatte sich noch einmal die Bilder ihrer Vorgängerinnen vergegenwärtigt, war sich mit der Zunge über die Lippen gefahren. Erfreuliche Ansichten, ausnahmslos. Wäre doch wirklich schade, wenn sich da privat nichts machen ließe. Vielleicht war eine der Damen im Moment solo und interessiert? Er musste sich eben die Mühe machen und sie aufsuchen. Eine nach der anderen. Mal sehen, ob sich da nicht etwas bewerkstelligen ließ.
Wie aber die angeblichen Drohungen in diesen Rahmen passen sollten, war ihm nicht klar. Den Kerl bringe ich um, sollte Melanie Schunter auf dem Weihnachtsmarkt in Esslingen von sich gegeben haben, dazu unzählige weitere Drohungen, Schmiedle ins Jenseits zu befördern, sämtliche Variationen, die sich da eröffneten. Wenn sie in ihm wirklich die große Liebe erblickt und seinetwegen
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