Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
eine langjährige Beziehung aufgegeben hatte, schien ihre Reaktion durchaus nachvollziehbar, zumal ihr Verhältnis abrupt zu einem – einseitigen, nur von dem Ermordeten initiierten? – Ende gekommen war. Aber hatte sie ihre Drohungen dann auch tatsächlich in die Tat umgesetzt? Oder waren sie nicht, wie bei einer zeternden, gefühlsmäßig zutiefst verletzten Frau wohl eher zu erwarten, bloße Ankündigungen geblieben, Schall und Rauch, die sich bald wieder verflüchtigt hatten?
Frauen in Rage konnten durchaus gefährlich werden, das wusste er aus eigener Erfahrung. Vielleicht hatten einige in den vergangenen Jahren vom Verhalten mancher Männer gelernt, er vermochte die Ursachen nicht zu nennen, kannte jedoch mehrere Beispiele, wo sich Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts wilden Furien ähnlich aufgeführt, ihre aggressiven Emotionen nicht länger geschluckt, sondern in die Tat umgesetzt hatten. Nicht nur beruflich, auch privat war ihm diese Erfahrung zuteil geworden.
Nur allzu gut erinnerte er sich an die komplizierte Beziehung zu einer seiner Verflossenen, Catharina aus Rottweil. Schon allein die Tatsache, dass sie ihren Namen mit c und th geschrieben und auf dessen korrekte Ausführung immensen Wert gelegt hatte, hätte ihn von Anfang an warnen müssen. Auch ihn nicht hundert Prozent korrekt auszusprechen, sie in einer hektischen Situation etwa Katrin oder Kathi zu nennen, hatte langwierige Erörterungen über die Zusammenhänge von schlampiger Ausdrucksweise und untrennbar damit verbundener ebensolcher Lebensführung nach sich gezogen und die Dame in einen Zustand aggressiver und eine Weile anhaltender Gereiztheit versetzt.
Er sah die Szene noch vor sich, wie ihm einmal in einer solch angespannten Situation der Kragen geplatzt war und er den Kommentar des Fußballspiels, das er in diesem Moment gerade auf dem Bildschirm verfolgte, so laut aufgedreht hatte, dass ihr absurdes, nicht enden wollendes Gemotze nicht mehr zu verstehen war. Wie von einer Tarantel gestochen hatte sie sich auf ihn geworfen, ihm voller Wut die Fernbedienung entrissen, den Ton so leise gestellt, dass überhaupt nichts mehr zu hören war und die Fernbedienung dann mit Karacho an die Wand gedonnert. Er hatte heute noch ihren Gesichtsausdruck vor Augen, die unbändige Wut, die sich darin abgezeichnet, die unglaubliche Erregung, die er offensichtlich in ihr provoziert hatte. Natürlich hatten sie sich kurz darauf in einer fast ebenso heftigen Szene wieder miteinander versöhnt, sich in einer weiteren Aufwallung der Gefühle gegenseitig die Kleider vom Leib reißend – die Fernbedienung, dieses kleine Wunderwerk aus Plastik und Batterien hatte Catharinas Attacke nicht überlebt.
Frauen pauschal als potentielle Gewalttäter auszuschließen, kam ihm nicht erst seit dieser Begebenheit nicht mehr in den Sinn. Wenn diese Melanie Schunter sich so gravierend von Schmiedle gedemütigt und im tiefsten Inneren getroffen fühlte, wer garantierte, dass sie sich wirklich nur mit mündlichen Drohungen begnügt hatte? Er konnte die Frau nicht außen vor lassen, musste genau überprüfen, ob sie mit dem Tod des Mannes zu tun hatte.
Melanie Schunter zu erreichen, gelang ihm jedoch erst am nächsten Morgen. Sofort nach dem Betreten seines neuen Büros, einem kleinen Raum neben dem der Kriminalkommissarin Riedinger nahm er einen kräftigen Schluck aus seiner neuen Eineinhalb-Liter Cola-Flasche, rülpste die Kohlensäure von sich und wischte sich den Mund ab. Dann blätterte er das Album auf, um sich die Frau vor Augen zu holen, die er gestern Abend telefonisch nicht mehr erreicht hatte. Diesmal klappte es auf Anhieb. Er nahm den Apparat her, gab Melanie Schunters Nummer ein. Es läutete zweimal, dann hatte er sie in der Leitung.
»Ja?« Eine energische, kraftvolle Stimme. Er hörte deutlich, wie sie an einer Zigarette sog, tief inhalierte, dann den Rauch von sich stieß. Geräusche aus dem Hintergrund ließen vermuten, dass sie sich entweder irgendwo im Freien oder in der Nähe eines geöffneten Fensters aufhielt.
»Aupperle, Mario«, stellte er sich vor, »ich hätte gern mit Frau Melanie Schunter gesprochen.«
»Das tun Sie gerade«, antwortete die Frau, »um was geht es?«
»Darf ich fragen, wo Sie sich gerade aufhalten? Ich würde mich gern mit Ihnen treffen.«
Sie schien überrascht. »Wann?«
»Möglichst bald.«
»Aber weshalb denn? Sie haben mir noch nicht erzählt, wer Sie sind und was Sie von mir wollen.«
»Markus Schmiedle«,
Weitere Kostenlose Bücher