Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
vermeintlichen Verpflichtung den Eltern gegenüber, die kleine Klitsche unbedingt selbstständig am Leben erhalten zu müssen, können Sie heute nicht mehr bestehen. Das ist passé. Ja, er verachtete seinen Bruder, was sage ich, verachtete, er hasste ihn regelrecht, weil Christian zu clever war, sich von derlei substanzlosen Gehirnblähungen blenden zu lassen. Michael Fitterling ist ein hoffnungslos naiver Idealist, meine Herren, der ist ja vor Jahren eine Scheinehe eingegangen, um einer Asylantin das Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Wie kann man nur so naiv sein?!«
»Wie bitte?«, fragte Braig. »Sie sprechen von Michael Fitterling?«
»Genau von dem, ja. Das wussten Sie nicht mit seiner Scheinehe, was? Wundern Sie sich nicht, dass der Mann allein am Grab seines Bruders stand, ohne seine rechtmäßig angetraute Frau?«
»Na ja, ich habe schon überlegt, wieso ich keine Frau an seiner Seite sah, aber …«
»Sie lebt, wenn ich richtig informiert bin, in Berlin mit Teilen ihrer Sippe, die sie inzwischen nachgeholt hat, und kassiert jeden Monat einen sauberen Batzen Euro von ihrem Herrn Gemahl. Für nichts.« Stollner schüttelte den Kopf. »Der wird die Firma ruinieren, wenn wir ihn gewähren lassen, aber …« Er brach mitten im Satz ab, weil er die Hand eines anderen Mannes auf seiner Schulter spürte, drehte sich zur Seite. »Ah, Sie sind es, Teubner. Ja, ich weiß, wir müssen. Der Kredit für die neue Hühnerfarm.«
Er entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner, reichte ihm die Hand. »Die Pflicht ruft, Herr Kommissar. Manche Termine lassen sich nicht verschieben.«
Braig schaute ihm verwundert nach, Stollners Bemerkung von der Scheinehe Michael Fitterlings im Kopf. Der Mann, ein naiver Idealist, versuchte er zu rekapitulieren, habe eine Scheinehe mit einer Asylbewerberin geschlossen, um der Frau das Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Heute lebe die Dame in Berlin, jeden Monat mit einer finanziellen Zuwendung Fitterlings versorgt.
Er wusste nicht, ob er dieser Behauptung Glauben schenken sollte oder ob der Bürgermeister da nicht einem Gerücht aufgesessen war. Immerhin war die Praxis der Scheinehe, so wie sie hier beschrieben worden war, gesetzlich verboten, hatte Michael Fitterling sich einer Straftat schuldig gemacht. Aber was davon wirklich wahr war und ob die Angelegenheit in irgendeiner Weise mit dem Tod Christian Fitterlings zu tun hatte, musste er in einem persönlichen Gespräch mit dem Mann erst klären. Hatte der Ermordete etwa versucht, seinen Bruder mit dessen Scheinehe zu erpressen, um die Firmenleitung vollends an sich zu reißen und war dabei auf energischeren Widerstand gestoßen, als er gedacht hatte?
Braig kam nicht dazu, die Überlegung weiterzuführen, sah sich plötzlich von einer kleinen Gruppe älterer, angesichts des traurigen Anlasses überraschend lautstark miteinander diskutierender Frauen und Männer umringt. Er bemerkte die tränenverschleierten Augen Maria Sälzles am Rand der Gruppe, nahm ihr heftiges Kopfschütteln und die energisch vorgetragenen Worte wahr, mit der sie auf die Äußerung eines Mannes reagierte.
»Noi, so schlimm isch er jetzt au et gwä!«
Braig reihte sich in die Gruppe ein, sah die Augen mehrerer Leute auf sich gerichtet. Die Unterhaltung verstummte jäh. Er grüßte, wandte sich an die Sekretärin. »Sie haben ihn gemocht, ja?«
Maria Sälzle sah zu ihm auf, wischte sich das Gesicht mit einem weißen Stofftuch trocken. »Ach, Herr Kommissar. Noi, sottiche Däg sollt’s et gebe.«
»Ja, er ist viel zu früh gestorben. Sie vermissen ihn sehr?« Er schaute in die Runde, bemerkte, wie mehrere der Anwesenden seinem Blick auswichen und das Gesicht zum Boden richteten.
»I ka et verstände, wie des hat sei müsse«, meinte die Sekretärin.
»Darüber ka mer geteilter Meinung sein«, gab ein Mann in trotzigem Ton von sich. Er war mit einem dunklen Anzug und einer schwarzen Krawatte bekleidet, trug als Einziger in der Runde einen anthrazitgrauen Hut.
Braig musterte seine Miene, sah, wie es in ihm arbeitete. »Sie haben ihn nicht besonders leiden können?«, fragte er ruhig.
Der Mann warf ihm einen kurzen Blick zu, starrte dann zur Seite. »Des hat mit leide könne oder et leide könne nichts zu tun. Der hätt mit seinem Lotterlebe die Firma noch vollends ruiniert. Mir könnet von Glück sage …«
»Albert!« Maria Sälzles Stimme hatte einen schneidenden Ton angenommen. »Du solltesch dich et versündige. Der Mann
Weitere Kostenlose Bücher