Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
verdorbenen Ware handle es sich um einen einmaligen Fall, eine Wiederholung des Vorgangs könne für die Zukunft ausgeschlossen werden, außerdem seien seine, also Allmengers Heime ja nicht betroffen gewesen.«
»Und?«
»Na ja, Allmenger hat die Rücknahme der Kündigung abgelehnt. Da sei Fitterling beinahe handgreiflich geworden. Der Mann habe regelrecht die Kontrolle über sich verloren. Ausgerastet, wie man sich das schlimmer nicht vorstellen könne. Das werde Konsequenzen nach sich ziehen, habe er geschrien. Was immer das heißen mag, der Typ macht sich jetzt jedenfalls so seine Gedanken.«
»Ja, und ich denke, wir auch. Oder?«
»Du musst versuchen, mit ihm zu sprechen.«
»Das ist leichter gesagt als getan. Weißt du, was hier los ist? Außerdem hat er gerade seinen Bruder zu Grabe getragen. Wenn wir uns täuschen …«
»Täuschen? Bei einem Typ, der so schnell die Kontrolle über sich verliert? Beim Tod seines Bruders und bei Allmengers Badewannentour hat auch jemand die Kontrolle über sich verloren, oder?« Sie hustete kurz, fügte dann hinzu: »Du musst es versuchen, okay?«
Braig sagte es ihr zu, sah wenige Meter vor sich Klemens Stollner aus der Menge auftauchen. Der Bürgermeister nahm ihn überrascht wahr, änderte seine Richtung, lief mit ausgestreckter Hand und freundlichem Lächeln auf ihn zu.
»Na, Herr Kommissar, Sie sind immer noch auf der Pirsch?«, begrüßte er ihn.
»So könnte man das umschreiben, ja. Und Sie haben einem Freund die letzte Ehre erwiesen?«
Der Mann nickte zustimmend. »Einem Freund und Geschäftspartner, ja.«
»Sie hatten ein gutes Verhältnis zu Herrn Fitterling.«
Stollner betrachtete ihn prüfend. »Sie haben meine Worte gehört.«
»Sie haben ihn sehr gelobt. Aber gut, am Grab sieht man über so manches hinweg.« Er dachte an Rössle und seine lateinische Zitatesammlung. »Wie sagt man: De mortuis nisi nihil bene.«
»Nicht allein deswegen«, erklärte sein Gesprächspartner. »Ich habe ihn wirklich gemocht. Er hat verstanden, zu leben. Kein leichtes Unterfangen in dieser kleinbürgerlichen Umgebung.«
»Zu leben?« Braig runzelte die Stirn. »Ob das alle seine ehemaligen Partnerinnen auch so sehen?«
»Aber, Herr Kommissar, weshalb so moralinsauer? Wenn eine Frau und ein Mann sich aufeinander einlassen, tun es beide doch freiwillig. Oder glauben Sie, eine der Damen wurde von ihm gezwungen, sich mit ihm zusammenzutun?«
»Sie müssen verzeihen. Eigentlich geht mich das nichts an. Aber die Sache mit der Erpressung … Diese Verbitterung hat ja ihre Gründe. Und dann hatte ich in den letzten Tagen noch weitere Gespräche …« Er ließ den Rest des Satzes offen.
»Ich verstehe. Natürlich kann man einen Menschen von verschiedenen Seiten sehen. Ich auf jeden Fall habe nur gute Erfahrungen mit Christian Fitterling gemacht. Und was die berufliche Seite angeht, da hatte er den vollen Durchblick. Was man leider nicht von jedem sagen kann.«
»Sie sprechen von seinem Bruder.«
»Das sagen Sie. Christian Fitterling hatte jedenfalls begriffen, welcher Wind heute in der Geschäftswelt weht. Wir schreiben das 21. Jahrhundert! Die Zeiten sind endgültig vorbei, wo jeder vor sich hinwirtschaften kann, wie er will. Kleine Klitschen haben keine Chance mehr. Die Großen bestimmen heute, was läuft. Wer sich da nicht rechtzeitig den richtigen Partner sucht, unter dessen Fittichen er Schutz findet, geht unter. Herr Fitterling war sich dieser Entwicklung voll bewusst.«
»Er wollte die Maultaschenfabrik an einen großen Konzern verkaufen.«
Klemens Stollner musterte Braig mit ernster Miene, nickte dann. »Er wusste um seine Bedeutung als einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region, versuchte alles, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Existenz von vierzig Menschen und deren Angehörigen hängt von der kleinen Fabrik ab. Die lassen sich nicht mit immer neuen verrückten Ideen in Lohn und Brot halten.«
»Sie sprechen von Michael Fitterlings Liebestäschle? Die verkaufen sich aber doch sehr gut.«
»Zwei, drei Wochen lang, Herr Kommissar, aber doch nicht auf Dauer! Der Mann hat doch nur Flausen im Kopf. Wie ein junger Teenie, der ein neues Spielzeug entdeckt hat. Der weiß nichts von modernem Management, hat keine Ahnung von langfristiger Unternehmensstrategie und internationalem Productplacement. Wenn es uns nicht gelingt, den in die richtige Spur zu bringen …« Stollner seufzte laut. »Mit althergebrachten Vorstellungen von Familienehre und der
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