BRAINFUCK
wäre der Kühlschrank häufiger leer geblieben.
Sie nahm den Rucksack vom Rücken, stellte ihn auf den Sitz am Durchgang und ließ sich auf den Fensterplatz fallen. Der Bus präsentierte sich spärlich besetzt. Auf dem vorderen rechten Vierersitz thronte ein Mann in legerem Büroanzug, einen beigefarbenen Kaschmirmantel auf dem Schoß und eine braune Lederaktentasche neben sich. Er schien einen Stock verschluckt zu haben. Seine akkurat gescheitelten, grauen Haare verstärkten die Aura von künstlicher Eleganz, die er ausstrahlte. Der Anzugträger starrte durch die Scheibe nach draußen, als gäbe es nichts Interessanteres als im Nachtdunkel vorbeiziehende Häuser.
Drei Reihen weiter, auf der Fahrerseite, lümmelte sich ein Betrunkener über beide Plätze. Die Kapuze seines schmierigen Parkas war tief ins Gesicht gezogen, sodass nur der struppige Vollbart zu sehen war. Sein Kopf lehnte am Holm zwischen zwei Fenstern. Er verströmte eine indezente Geruchsnote aus altem Schweiß und frischem Alkohol. Und er schnarchte.
Rechts von ihm, in der Sitzreihe dahinter, beschallte ein blondes Mädchen aus ihren überdimensionalen Kopfhörern ihre Umgebung. Stillhalten schien ein Fremdwort für sie zu sein, sie tanzte im Sitzen und befand sich eindeutig außerhalb jeder Realität. Der Aroma-Mix aus ›Mexx Black Woman‹ und Marihuana, der von ihr ausging, mischte sich mit den anderen Gerüchen im Bus.
Zusammen mit den wechselnden Klängen ergab das Ganze eine typische Melange, die Lily für sich Nachtbus-Sinfonie getauft hatte. Zu dieser gehörten auch das Bremsgeräusch und das zischende Öffnen der Türen, das gerade erklang.
*
Der junge Mann, der eintrat, dem Fahrer ein Geldstück hinlegte und seinen Fahrschein entgegennahm, war groß gewachsen und schlank. Er trug komplett schwarze Kleidung. Unter seiner modischen Strickmütze quoll dunkles Haar hervor, das im Emo-Style quer über die Stirn drapiert war. Darunter leuchteten zwei Augen in hellem Blau, die Lily beinahe ein bewunderndes Pfeifen entlockt hätten. Der Bursche schlenderte den Mittelgang entlang. Auf Lilys Höhe angekommen, schenkte er ihr ein behutsames Lächeln und setzte sich auf den Platz ihr gegenüber. Unwillkürlich strich sie sich mit der Hand durch ihre leuchtend roten Haare und schüttelte sie zurecht.
Verstohlen musterte sie ihn. Er war hübsch. Die ebenmäßigen römischen Züge wirkten winterlich blass. Die vollen Lippen standen in Kontrast zu einem Dreitagebart, was ihm eine seltsame jugendlich–verruchte Ausstrahlung verlieh. Wie alt mochte er sein? Das war schwer zu schätzen, er konnte sechzehn sein, aber genauso gut zwei- oder dreiundzwanzig. Er bemerkte ihren Blick und lächelte abermals. Dieses Lächeln war alles andere als behutsam.
»Ich weiß, dass ich dir gefalle!«
Lily fühlte sich ertappt und drehte, peinlich berührt, das Gesicht zum Fenster. Demonstrativ imitierte sie den Anzugträger und täuschte Interesse an vorstädtischer Architektur vor.
*
Der Bus hielt. Zwei Frauen mittleren Alters stiegen zu. Lily kannte die beiden. Es waren die Damen vom Prüfdienst. Sie tastete nach der Monatskarte in der Jackentasche und registrierte beruhigt, dass diese da steckte, wo sie hingehörte.
»Die Fahrscheine, bitte!«, tönte die größere der beiden Frauen und wandte sich an den Mann im Anzug. Dieser ließ sich in seiner Betrachtung der Hauswände und Bürgersteige nicht stören.
»Darf ich bitte Ihren Fahrschein sehen?«, sprach sie ihn direkt an.
Unwillig wie ein Wissenschaftler, den man bei einer bahnbrechenden Erfindung störte, drehte er den Kopf und bedachte die Kontrolleurin mit einem abschätzenden Blick.
»Moment …«, erwiderte er und begann seinen Mantel aufzufalten.
Die Frau lehnte sich mit der Hüfte an die Lehne der gegenüberliegenden Bank. Sie rechnete wohl mit einer längeren Wartezeit.
Die bekiffte Blondine zog eine Seite ihres Kopfhörers vom Ohr und beäugte die Szene. Sie schien auf Abwechslung gewartet zu haben.
Die zweite Kontrolleurin erreichte den Schlafenden und stupste ihn an der Schulter. »Ihren Fahrschein, bitte!«
Ohne den Kopf zu heben, zog der Bärtige eine Klarsichthülle mit einem Schwerbehindertenausweis darin aus den unergründlichen Tiefen seiner Kleidung und streckte ihn der Frau entgegen. Dabei murmelte er etwas Unverständliches, das sich in Lilys Ohren anhörte wie »Anarchie«.
*
Der Anzugträger war jetzt damit fertig, seinen Mantel aufzuklappen, und durchsuchte ihn. Die
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