BRAINFUCK
aus der Masse gestoßen und landete mit einem satten Scheppern auf dem Hofboden. Staunend hob Jan das Arbeitsgerät auf. Vom Schaufelblatt fehlte ein Stück, als hätten es riesige Zähne abgebissen.
Die ramponierte Schaufel in beiden Händen haltend, näherte er sich vorsichtig dem Rand der Anhäufung. Nichts war zu hören oder zu sehen. Er holte aus und rammte das Metall in die stinkende Masse. Der Stiel zuckte und schlug ihm mit Wucht gegen den Brustkorb. Jan stolperte rückwärts und rang nach Luft.
»Jesus Christus …!?«
Etwas Langes, Schlangenähnliches wand sich aus dem Haufen und griff nach ihm. Fasziniert starrte er es an. Es kam näher. Angst schoss durch Jans Gedärme. Über sein Rückgrat rieselte ein Schauer. Er versuchte, die Panikstarre abzuschütteln. Gelähmt vor Entsetzen musste er zusehen, wie sich der tastende Auswuchs bis auf wenige Zentimeter seinem Gesicht näherte. Deutlich konnte er schleimüberzogene Saugnäpfe an der Spitze erkennen.
Endlich gelang es ihm, sich zu bewegen. Er rannte ins Haus und kam mit seiner Pistole zurück. Zitternd zielte er auf die Stelle, an der sich das Ding gezeigt hatte, und drückte ab. Drei Kugeln jagte er hinein. Drei Einschlagkrater blieben zurück, die sich mit rieselnden Krümeln füllten, bis beinahe nichts mehr von ihnen zu sehen war.
»Was ist denn los?« Seine Frau stand im Hintereingang und sah ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Besorgnis an. An den Schößen ihrer blauen Kittelschürze klammerte sich seine vierjährige Tochter Janina fest.
Bevor Jan Kamphuis antworten konnte, schoss ein Tentakel auf ihn zu. Er wollte ausweichen, die Pistole hochreißen … vergebens. Der Fangarm traf ihn an der Schläfe und saugte sich daran fest. Verblüfft registrierte Jan, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Sein Körper war von seinem Verstand losgelöst. Hilflos musste er zusehen, wie sich sein Arm mit der Waffe hob. Eine übermächtige Kraft zog die Hand höher, bis der Lauf auf seine Frau zeigte. Jan versuchte verzweifelt seine Muskeln daran zu hindern, den Zeigefinger zu krümmen, doch sein Gehirn schoss die Befehle ins Leere. Zwei Schüsse peitschten über den Hof. In Ediths Kopf klaffte ein faustgroßes Loch. Sie brach zusammen.
»Mama?!«
Janinas Schrei gellte zu ihm herüber. Entsetzen stand in ihrem Gesicht, Blut und Gehirnfetzen sprenkelten ihre Haare. Ein weiterer Knall. Auf Janinas Stirn blühte ein roter Punkt auf.
Wie in Zeitlupe sah Jan die Bilder. Sein Arm hob sich, die Hand mit der Waffe drehte sich. Er sah die schwarze Mündung vor seinem Gesicht.
Vom Gartentor her ertönte ein Klappern. Der Briefträger! Jan schöpfte Hoffnung. Das Wesen reagierte ebenfalls darauf, der Fangarm zuckte. Das Donnern des Schusses verdunkelte sein Bewusstsein. Der Tentakel löste sich mit einem leisen ›Plopp‹ und glitt in die Masse zurück.
*
Jan Kamphuis betrachtete sein Flechtwerk. Ein stabiles Seil mit einer Schlinge an einem Ende. Er rückte den Stuhl ans Fenster und öffnete es. Bedächtig kletterte er auf die Sitzfläche, knotete den Strick an die oberste Strebe des Gitters und legte sich die Schlinge um den Hals. Jetzt konnte die Polizei ihn ungehindert weiter des Mordes bezichtigen, die Ärzte ihm ›versuchten erweiterten Selbstmord‹ und eine ›traumabedingte Psychose‹ unterstellen.
Jan zog ein abgegriffenes Foto aus der Tasche. Seine Frau und seine Tochter lächelten ihn glücklich an. Er atmete ein letztes Mal tief durch und trat den Stuhl weg.
Nachtbus-Sinfonie
„Wem zu glauben ist, redli cher Freund, das kann ich dir sagen: Glaube dem Leben; es lehrt besser als Redner und Buch.“
(Wilhelm Busch)
Lily hatte Glück. Der Platz am Heizgebläse im hinteren Teil des Busses war frei. Das Gebläse lief rauschend auf Hochtouren und mühte sich redlich, das Innere des Linienbusses zu erwärmen.
Lily öffnete den Reißverschluss ihrer Daunenjacke ein Stück. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt. Das Fernstudium im Fach Kulturwissenschaften war ihr anfangs machbar erschienen – inzwischen sah sie das anders. Es war die Hölle. Regelmäßig saß sie bis in die Morgenstunden über den Unterlagen, kämpfte mit dem Lernstoff und schätzte sich glücklich, wenn am nächsten Tag noch die Hälfte des am Vorabend Gelernten abrufbar war. Ihr Gehirn verhielt sich wie ein schwarzes Loch: Es konnte Lerninhalte auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Wie gut, dass der Supermarkt am Bahnhof bis null Uhr geöffnet war, sonst
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