BRAINFUCK
geschweißtes Stück Papier hervor und hielt es ihm unter die Nase.
»Sie hat es sich gewünscht. Das hier ist ihr Organspenderausweis!«
Bis in den Schlaf
„Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.“
(Leonardo da Vinci)
Ich biege um die Ecke zur ›Böhmener Straße‹, sorgfältig darauf achtend, kein überflüssiges Geräusch zu verursachen. Ein übereifriger Nachbar, ein zufälliger Passant oder der verfrühte Zeitungsbote könnten meinen sorgfältig ausgeklügelten Plan zum Scheitern bringen. Bei Hausnummer ›3‹ schlüpfe ich durchs Gartentor. Von hier aus ist es problemlos möglich, auf das Grundstück von Nummer ›5‹ zu kommen. Dort wohnt sie. Die kleine Hure, die mich belogen, betrogen und zum Gespött gemacht hat. Ich überprüfe meine Ausrüstung: stabile Kabelbinder, auch Einmalhandschellen genannt, Leinenstreifen und zuletzt das Kampfmesser, das normalerweise als Zierstück über meinem Schreibtisch hängt. Alles ist vorhanden und einsatzbereit.
»Jetzt bist du fällig, Nela!«, flüstere ich.
Unbändige Wut erfasst mich, wenn ich an sie denke.
***
Ich schlug die Augen auf, versuchte mich zu orientieren. Das kleine orange Blinklicht am Fernseher und das hellere Leuchten des Schalters der Mehrfachsteckdose halfen mir dabei. Ich befand mich in meinem Schlafzimmer. Was für ein Traum! Seit Nela mit mir Schluss gemacht hatte, träumte ich jede Nacht von ihr. Und von ihrem neuen Freund. Und davon, was die beiden miteinander anstellen und ich am liebsten mit den beiden anstellen würde – eklige, bluttriefende Fantasien, die mir in wachem Zustand fremd waren.
Schlaftrunken rappelte ich mich auf und begab mich in die Küche. Warme Milch mit Honig war jetzt das Mittel der Wahl. Man mag über dieses Hausmittel denken, was man will, mir hat es bisher wunderbar geholfen. Während die Tasse in der Mikrowelle Karussell fuhr, bemühte ich mich, meine Gefühle zu ordnen. Sie war fremdgegangen, zweifellos.
Die Hauptschuld lag bei mir, ich hatte sie monatelang vernachlässigt, war mehr für meinen Fußball-Fanklub da gewesen als für sie. Ihre Bitten, Forderungen und Gesprächsversuche hatte ich abgeblockt; auf den nächsten Tag, das nächste Wochenende verschoben.
Vordergründig war mir das klar. Aber diese Vernunftgründe versagten, wenn es darum ging, meine Empfindungswelt ins Gleichgewicht zu bringen. Oder meine Träume. Sie hatte einen Schlussstrich gezogen, es führte kein Weg zurück. Langsam sollte ich das nicht nur mit meinem Verstand begreifen. Die Diskrepanz zwischen Logik und Gefühlswelt löste meine blutrünstigen Träume aus, die mich seit Tagen heimsuchten, das war mir klar geworden.
Das ›Pling‹ der Mikrowelle ließ die Denkblase zerplatzen. Ich rührte zwei Esslöffel Honig in die Milch und trank sie stehend in kleinen Schlucken. Mit angenehmer Wärme im Bauch trollte ich mich wieder in mein rot-weiß bezogenes Bett.
***
Behutsam drücke ich die Sträucher der Hecke auseinander und mustere den gepflegten Rasen auf der anderen Seite. Neun Meter sind es bis zur Hintertür. Der uralte, kniehohe Jägerzaun, der bis zur Unsichtbarkeit mit den Büschen verwachsen ist, stellt kein Hindernis dar. Lautlos schleiche ich durch den Schlagschatten des ausladenden Apfelbaums, drücke mich gegen den Stamm und lausche hinauf zu Nelas Fenster. Die Rollläden sind halb heruntergelassen, das Fenster scheint offen zu stehen; wie immer, in warmen Sommernächten. Der kleinen Schlampe ist es egal, dass die Nachbarn alles hören können, was im Schlafzimmer vorgeht. Und dass dort etwas vorgeht, ist überdeutlich zu vernehmen. Ihr Stöhnen, begleitet von diesen eigenartigen kurzen Quietschlauten, kenne ich zur Genüge. Ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt. Die Eifersucht nagt mit scharfen, glühenden Zähnen an meiner Selbstbeherrschung. Günther ist bei ihr, der Drecksack! Gut, so bekomme ich sie beide.
Ich versuche, mein Zittern zu unterdrücken und mein Denken in klare Strukturen zu bringen. Dreimal atme ich tief durch, bevor ich den Nachschlüssel aus der Tasche ziehe, den ich mir anfertigen ließ, als unsere Beziehung noch funktionierte.
Mit drei schnellen Schritten bin ich an der Tür, schließe sie auf und öffne sie halb. Weiter darf ich sie nicht aufdrücken, sonst knarrt sie, das habe ich mir gemerkt. Durch den Spalt schlüpfe ich in den dunklen Flur und taste mich an der Wand entlang zur Treppe. Zwei, sechs und sieben, bete ich mir still die Zahlen der Stufen vor, die beim
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