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Bran

Bran

Titel: Bran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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kein Wort verstand.
    Hier war kein Weiterkommen. Straner entsann sich des Schleichwegs, den sie einmal genommen hatten. In raschem Lauf quetschte er sich durch die umliegenden Straßen, die von Menschen verstopft waren. Im Nachbarturm funktionierte alles reibungslos. Der Elevator beförderte ihn hinauf in den 200. Stock. Auf einer der gläsernen Brücken gelangte er in den Silo, den er zuerst angesteuert hatte. Das Treppenhaus stank enorm nach Müll und Urin. Mit angehaltenem Atem lief er elf Stockwerke nach unten.
    Als er in Kiús Schlafbox taumelte, stolperte er über So Chí. Das Mädchen tat nicht besonders verwundert, aber es war offensichtlich, dass sie sich gestört fühlte. Straner sah, dass sie Kiús Kisten geöffnet und ihre Sachen durchwühlt hatte. Gerade hielt sie den kitschigen Ohrring in der Hand, den sie unaufgeregt in ihrem Täschchen verschwinden ließ.
    »Wo ist Kiú?«
    Die Kleine zuckte die Achseln. »Wenn du dich beeilst, kannst du zusehen, wie sie unten ihre Fetzen aus dem Schacht ziehen.«
    Straner packte sie am Handgelenk, aber sie wand sich mit erstaunlichen Kräften los. »War sie in dem Elevator?«
    So Chí gab sich noch immer unbeeindruckt.
    »Sie hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn sie auf die Plattform stieg.« Das Mädchen blinzelte Straner in gespieltem Bedauern an. »Vielleicht hatte sie eine Ahnung.«
    »Das kann nicht sein!« Er fasste sich an den Kopf.
    »So etwas kommt alle paar Tage vor.« So Chí hob die schmalen Schultern. Ihr Gesichtchen war eine Karikatur des Schmollens. »Unsere Techniker sind unfähig, und die Behörden interessieren sich nicht dafür.«
    »Das darf nicht wahr sein«, sagte Straner mechanisch.
    Das Licht im Vorraum sprang an, warf einen harngelben Schein durch die halb offene Tür und erlosch dann wieder. Irgendwo war ein lang gezogenes stählernes Kreischen und Quietschen zu hören. Wie wenn ein Ozeanriese an einer Felsklippe schrammte. Dann war es wieder still. Plumpe Schritte stapften den Gang zwischen den Schlafboxen entlang und entfernten sich.
    Die Luft in der Box war kaum zu atmen. Nach dem gehetzten Lauf fühlte Straner sich, als bekomme er überhaupt keinen Sauerstoff in seine revoltierenden Lungen. Nur diesen abgestandenen Mief von uraltem Bettzeug und ungewaschenen menschlichen Leibern.
    »Was machst du hier überhaupt?«
    So Chí war wieder dazu übergegangen, die Sachen in Kiús Kartons zu durchwühlen. »Was geht dich das an?« Das Mädchen ließ sich nicht beirren.
    »Ich rede mit dir!« Straner brauchte frische Luft. Er fürchtete, sich übergeben zu müssen. Eigentlich war es auch nicht seine Aufgabe, sich um den erbärmlichen Nachlass einer kleinen Prostituierten zu kümmern.
    »Ich dachte, ihr wart Kolleginnen«, sagte er matt. »Freundinnen.«
    »Waren wir auch. Aber jetzt ist sie tot.«
    »Hat sie keine Angehörigen?«
    Im Halbdunkel, der die Schlafbox erfüllte, glühten ihre Augen wie die einer in die Enge getriebenen Katze.
    »Die Wohnung gehört mir, sie läuft auf meinen Namen! Alles, was sich hier befindet, ist mein rechtmäßiges Eigentum. Und jetzt verschwinde!«
    Straner glaubte ihr kein Wort. Aber er hatte weder die Mittel noch die Zeit, es zu überprüfen.
      
    Als er aus dem anbrüchigen Portal des Nachbarturmes auf die Straße hinaustrat, zog es ihn doch noch einmal zu Kiús Wohnsilo zurück. Die Aufregung hatte sich inzwischen gelegt. Die Schaulustigen hatten sich verlaufen. Die wenigen Überlebenden waren abtransportiert worden.
    Die Leichen lagen in zwei Reihen auf dem Vorplatz. Es waren über einhundert. Die Plattform war zu dieser Morgenstunde voll besetzt gewesen. Straner brauchte nicht allzu lange suchen, bis er Kiú gefunden hatte. Sie lag da, als würde sie schlafen. Aus ihrem geöffneten Mund rann ein dünner Faden Blut. Immer wieder versuchten Hunde, an den Toten zu schnüffeln. Mehrere Männer in kirgolischen Trachten bewachten die Leichen und verscheuchten die Tiere. Straner aktivierte sein Tattoo, beugte sich über Kiús zerschmetterten Körper und nahm ein Holo ab.
    »He!« Einer der Aufpasser kam mit schweren Schritten auf ihn zu.
    Er beeilte sich, in der Menge der Passanten unterzutauchen.
    Obwohl der Druck auf seiner Brust im Freien etwas nachgelassen hatte, blieb das Gefühl der Übelkeit den ganzen Vormittag in seinem Hals haften. Als habe er hastig einen zu großen Bissen verschlungen, den er nicht richtig hinunterschlucken konnte.
      
    »Das ist schon ein merkwürdiger Zufall.«
    Jedes Mal, wenn

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