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Bran

Bran

Titel: Bran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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gewesen wie nach einem mehrwöchigen Urlaub irgendwo am Meer. Hier versetzte ihn die künstliche Schwerelosigkeit in Schwindel. Er musste das Aggregat herunterregeln, um mit einem gewissen Prozentsatz seines Körpergewichts Fühlung zur Unterlage zu erhalten. Dennoch war es ihm in der Phase des Wegdämmerns, im Zwischenreich von Wachen und Traum, immer wieder so, als stürze er durch den unendlichen Raum. Er hatte die Kontrolle über die HOOKED KITE verloren. Das Schiff trudelte steuerlos durchs All. Schließlich hatte er sich dazu entschließen müssen auszusteigen. Nur in einen dünnen Raumanzug gehüllt, der ihn notdürftig vor Kälte und Strahlung des Kosmos schirmte, fiel er in den parsecweiten Abgrund und fiel und fiel und fiel.
    Straner schreckte hoch. Er hatte geglaubt, gar nicht geschlafen zu haben. Aber sein krampfartiges, von einem lauten Schrei begleitetes Auffahren belehrte ihn des Gegenteils.
    Er war im Raum gewesen. Die HOOKED KITE durchstieß eben die Lichtschwelle und kehrte in die Normalmatrix zurück. Vor ihm lag ein Schiff, unfassbar nah und unbegreiflich langsam. Er hätte es beinahe gerammt. Aber die Automatik reagierte im Bruchteil einer Mikrosekunde und fing das gewaltige Bewegungsmoment ab. Die HOOKED KITE bäumte sich auf wie ein Pferd, das vor einer Klapperschlange erschrickt und in vollem Galopp scheut. Der Reiter wird abgeworfen und stürzt kopfüber in den Staub, den glühenden Wüstenboden.
    Er setzte sich auf. Angelte nach dem Getränk, das auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett stand, trank einen Schluck und besprengte sich das Gesicht mit dem Wasser, das lau und abgestanden schmeckte.
    Dann stand er auf. Er ignorierte die Anfragen der Bots und taumelte ins Bad. Dort ließ er sich lange von kühlem Nass berieseln. Später stand er auf dem Balkon. Die Nacht war drückend. Voller Schwüle und Elektrizität. Es ging auf die Regenzeit zu, den kurzen, aber heftigen Monsun, der einmal im Jahr über die äquatorialen Breiten Zhids hinwegfegte. Es war eine Stimmung wie vor dem Losbrechen eines gewaltigen Gewitters, nur dass diese Wehen noch mehrere Wochen dauern würden und das Gewitter einen Monat.
    Sein Geist hing in einer Endlosschleife fest wie ein Computerprogramm, das sich aufgehängt hatte. Immer wieder kehrte er zu jener Raumzeitstelle zurück, an der er beinahe in Kundali und ihr Shuttle hineingeprallt wäre, ein Auffahrunfall bei Lichtgeschwindigkeit. Er hatte den Vorfall eigentlich schon fast wieder vergessen. Auch am Vortag, als er bei der Rückkehr von Rangkor wieder an jener Stelle vorbeigekommen war, hatte er sich nichts gedacht. Dort war ja nichts, nur stöhnende Leere im Radius vieler Parsec. Aber etwas schien sein Unterbewusstes zu beschäftigen. Etwas schien es ihm sagen zu wollen. Er musste auch in der Realität noch einmal dorthin zurückkehren. Vielleicht fand er ja doch einen Anhaltspunkt. Wo war Kundali hergekommen? Wo war sie gewesen, in diesem winzigen Schiff, fernab aller markierten Routen?
    Die knisternde Nacht hatte ihn getrocknet, der aus dem Bad an die Luft gegangen war, ohne sich etwas anzuziehen. Bei der geringsten Anstrengung würde ihm sofort wieder der Schweiß ausbrechen.
    Er ging hinein und zog den Pilotenanzug über. Dann entriegelte er die Tür und drückte sich auf den Gang hinaus. Cejlas Tattoo würde sie in diesem Augenblick mit einem sanften, aber anhaltenden Prickeln wecken und ihr mitteilen, dass er die Suite verlassen hatte und auf dem Weg zum Hangar war. Der Gedanke entzückte ihn. Er kam sich vor wie ein Jugendlicher, der sich nachts heimlich aus dem Haus schlich! Im Übrigen war er frei zu gehen, wohin er wollte.
    Ein Wachmann schlug sich vor der Schleuse die Nacht um die Ohren.
    »Schon wieder unterwegs, Fremder?«
    Straner drückte ihm ein üppiges Trinkgeld in die Hand.
    »Geschäfte, Geschäfte!«
    Der Mann gab den Durchgang frei.
    »Und in einer solchen Nacht kann man sowieso nicht schlafen.«
    »Wem sagst du das!«
    Die HOOKED KITE stand auf der Plattform und schwieg in die Dunkelheit hinaus. Ein schlafendes Reittier, das er am Abend getränkt und gestriegelt hatte und das nun geduldig auf den nächsten Ausflug wartete. Das Schiff atmete. Sein feuchtes Schnarchen dampfte in der Luft. Und der schwere Pulsschlag seiner Aggregate ließ den Beton des halb offenen Hangars unmerklich vibrieren.
    Straner kletterte in die Einstiegsluke und nahm seinen Platz in der Führerkanzel ein. Er programmierte den Kurs. Die Systeme erwachten zum Leben.

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