Bran
Rangkor hätte sie einen Unterschied gemacht –, ob es um Mord ging oder um Beihilfe zum Mord, fiel dabei anscheinend nicht ins Gewicht.
»Wer geschossen hat, spielt hinterher doch keine Rolle mehr. Fakt ist: Richards hielt sich für ganz besonders schlau. Er wollte Mordal zur Macht verhelfen, aber natürlich sollte die eigentliche Macht bei ihm liegen. Oder in den Händen des Senats von Rangkor.«
»So war es geplant.«
»Aber Mordal war mindestens genauso gerissen. Er ließ Richards für sich arbeiten, der dachte, er arbeite für ihn, und als die Sache durch war, nahm er ihn unter einem Vorwand fest und warf ihn raus.«
»Ich dachte, er ließ ihn töten.«
»Es kann sogar sein, dass er ihm einen Prozess machte und ihn des Hochverrats beschuldigte.«
»Auf Rangkor ist er seitdem nicht wieder aufgetaucht.«
»Vielleicht rottet er auch noch hier in irgendeinem Kerker vor sich hin!« Die Ratte wischte das mit wirbelnden Pfötchen weg. »So oder so. Richards existiert nicht mehr, und unter Mordal blüht das Land seit 25 Jahren.«
Straner leerte den integrierten Becher und schlenzte ihn über die Seitenstraße, die weiter vorne in die Plaza mündete. Der Wind entführte das billige Einmalgefäß und kickte es durch die Gassen.
»Das Volk soll das glauben«, sagte er. »Aber die Wahrheit ist ein kleines bisschen komplizierter.«
»Wen interessiert die Wahrheit, wenn er nichts zu fressen hat?«
»Ich dachte, du frisst die Weisheit mit Löffeln?«
»Bis jetzt hast du nichts geliefert, was ich nicht selbst gewusst hätte.«
»Das könnte ich genauso sagen. Aber war der Deal nicht, dass du für mich arbeitest?«
Scout funkelte ihn böse aus seinen nachtsichtverstärkten Pupillen an.
»Was weiß denn ich?! Vielleicht findest du ja jemanden, der in der Schule aufgepasst hat. Die offizielle Version geht so, wie ich es sage. Im Übrigen erzählt man den Kids alle paar Jahre etwas anderes.«
»Aber genau darauf käme es an.«
»Was wirklich geschehen ist? Mein Gott!« Die Ratte schnaubte verächtlich, als habe Straner gefragt, ob eine Hure noch Jungfrau sei.
»Ich sehe schon. Du bringst mich auch nicht weiter. Warum gebe ich mich überhaupt mit dir ab?«
»Keine Beleidigungen, bitte!« Scout sprang auf seine Schulter und zwickte ihn ins Ohr.
»Lass das!« Er packte das Vieh, das widerlich nach Abfall stank, und schmiss es auf den Vorplatz des Mausoleums. Der verdorrte gelbe Rasen sah ihm indirekten Licht der wenigen Lampen wie das Fell eines räudigen Tieres aus. »Das ist ekelhaft!«
»Wie du meinst.« Die Ratte hatte sich geschickt abgerollt. Jetzt stand sie im Begriff, in der Kanalisation zu verschwinden.
»Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.«
»Du weißt, wo du mich finden kannst.«
Straner blieb allein zurück. Sein Leben kam ihm wie eine einzige lange dunkle Nacht vor, stickig heiß und lichtlos. Wann hatte er zum letzten Mal die Sonne gesehen? Auf Zhid, in jenem anderen Zhid, hatte sich alles nachts abgespielt. Tagsüber hatte er geschlafen. Und jetzt war es wieder Nacht. Der Himmel war verhangen. Kein Stern war sichtbar. Aber der Monsun ließ auf sich warten. Er zierte und spreizte sich wie eine Tänzerin, die den letzten Schleier einfach nicht fallen lassen will.
Selbst die großen Plätze und Repräsentationsbauten der Innenstadt fielen immer wieder ins Dunkel. Die Installationen pfiffen aus dem letzten Loch. Die Stromversorgung glich einer Lotterie. Das Wasser schmeckte von Tag zu Tag brackiger. Die Informations- und Mediennetze brachen immer öfter zusammen. Zhid war drauf und dran, in einen vorzivilisatorischen Zustand zurückzufallen. Die Abermillionen Einwohner würden bald in ihren Türmen hausen wie Troglodyten der Jungsteinzeit in ihren Höhlen. Gebirgsbewohner, die weder Elektrizität noch fließend Wasser kannten.
Ein Verkäufer mit einem selbstlaufenden Gestell kam vorbei. Er war auf dem Weg von seinem Stammplatz, irgendwo im Dunstkreis des Palastes, zu seiner Wohnung, weit draußen in der Vorstadt. Vermutlich war es ein mehrstündiger Marsch, die klackernde Konstruktion neben sich, auf der Getränke, Süßigkeiten und billige Souvenirs befestigt waren. Bis er zu Hause war, war es nach Mitternacht. Eine erschöpfte Frau und eine plärrende Kinderschar warteten auf ihn. Sie fragten ihn, was er verkauft hatte. Es waren nur ein paar Gimmicks. Der Erlös reichte kaum für eine Handvoll Kaktusmehl. Die Kleinen waren chronisch unterernährt. Sie wollten immer an die Süßigkeiten heran,
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