Brandbücher - Kriminalroman
»20.15 Uhr – Brennendes Geheimnis«, las sie und starrte den Fernseher verblüfft an. Sie suchte nach der Karte, die sie als letzte gelesen hatte.
»Das gibt es nicht!«, sagte sie laut und sah sich nach dem Telefon um. »Das muss ich Jenny erzählen.«
Ohne den Film weiter zu beachten, wählte Karina die Nummer ihrer besten Freundin Jennifer Bär. Ehe die sich darüber beklagen konnte, dass Karina seit Tagen nicht auf die SMS-Nachrichten reagiert hatte, überfiel Karina sie mit: »Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist.« Sie begann der Freundin von dem Film zu erzählen und landete schnell bei den Karten ihrer verstorbenen Großtante.
Als Karina endlich schwieg, war das Einzige, was sie von ihrer Freundin hörte: »Ich komme vorbei!«
*
»Mensch, irgendwo müssen sie doch sein!« Bruno stand mitten in dem kleinen Raum, in dem er sich früher oft mit Samuel verkrochen hatte, um die Bücher zu studieren, die nur für Erwachsene gedacht waren. Er sah Samuel an, als trage der persönlich Schuld daran, dass die Bücher verschwunden waren.
Samuel starrte die leeren Wände an und zog die Schultern hoch. »Mein Vater muss sie weggebracht haben, als ich in Münster war.« Zuerst sah er Bruno hilflos an, doch dann erwachte Zorn in ihm. »Bestimmt hat mein Vater bemerkt, dass Bücher fehlen. Wieso musstet du die auch mitnehmen? Wo sind die überhaupt?«
Bruno stellte sich gerade hin und sah Samuel mit einem starren Blick an. »Wer sagt denn, dass du dir nicht jeden Abend ein Buch mitgenommen hast, um dir einen runterzuholen oder um es deiner Katharina vorzulesen?«
Samuel spürte, wie die Wut in ihm hochkroch. Das wollte sein Freund sein? Seit sie in Münster studierten, hatte Bruno sich verändert. Oder war er immer so gewesen und ihm war das nicht aufgefallen, weil er froh darüber war, einen Freund zu haben? Dabei studierte Bruno Theologie und mussten nicht, wie er, im Medizinstudium tote Menschen aufschneiden. Pah, diese Theologen, die kümmerten sich doch nur um die schöne Seite des Todes. Er und seine Kollegen, sie waren es, die den Menschen ihre Krankheiten verkündeten.
»Lass Katharina aus dem Spiel!«, sagte Samuel und seine Stimme war kalt wie ein Messer, das im winterlichen Schnee gekühlt worden war. »Und sag mir sofort, wo die Bücher sind!«
Sonst ist es aus mit unserer Freundschaft, wollte Samuel hinzufügen. Da fiel ihm ein, wer er war und wer Bruno war. Bruno Schulze-Möllering, der Sohn eines Arztes – eines Arztes, der etwas zu sagen hatte, in der Stadt und in der neuen Partei, die von sich reden machte. Dennoch nahm er dem Blick nichts von seiner Kälte. Er wusste, wenn er jetzt klein beigeben würde, bekam er das für den Rest seines Lebens zu spüren. So war es immer zwischen ihnen, einmal kämpften sie miteinander und dann verbündeten sie sich wieder gegen die ganze Welt. »Echte Freunde eben«, hatte Katharina gesagt, als Samuel ihr das erzählt hatte. Waren sie wirklich echte Freunde? Samuel war sich heute nicht mehr so sicher.
Bruno ging nicht auf seinen Wutausbruch ein. »Vielleicht gibt es vorn ein paar gute Bücher«, bemerkte er. Die Art, wie Brunos Augen bei der Bemerkung glänzten, und die Bewegungen, die er bei seinen Worten machte, zeigten Samuel, dass Bruno unter gut etwas anderes verstand als ihre Väter oder ihr ehemaliger Deutschlehrer.
Samuel zog die Schultern hoch. Doch Bruno hielt sich nicht mit ihm auf, er stürzte in den vorderen Teil der Bibliothek. Samuel war froh, dass sein Vater auf dem sonntäglichen Spaziergang war, den er auch nach dem Tod der Mutter beibehalten hatte. Er folgte Bruno und entdeckte ihn vor einem Tisch voller Bücher.
»Hier, das klingt doch gut«, rief Bruno mit dem Blick, den er hatte, wenn er den jungen Mädchen in der Stadt nachsah und hinterherpfiff.
»Brennendes Geheimnis«, las Samuel. »Na und?«
»Hey, hab dich nicht so!« Bruno stieß Samuel in die Seite. »Lass uns doch wenigstens reinlesen. Guck mal da, der große Bruder vom kleinen Emil«, sagte er auf einmal und zeigte auf ein Buch, aus dessen Einband Samuel nicht schlau wurde.
»Fabian«, las er. »Da steht nichts von Emil!«
»Oh Mann, Emil und die Detektive, Fabian, beide vom gleichen Autor!« Bruno tippte sich mit dem rechten Zeigefinger gegen die Stirn. »Bist du der Bücherwurm oder bin ich es?«
Samuel hasste es, Bücherwurm genannt zu werden. Diesen Spitznamen hatte ihm Bruno schon in der ersten Klasse verpasst und alle anderen hatten ihn übernommen.
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