Brandbücher - Kriminalroman
Selbst einige von Brunos Kommilitonen in Münster riefen ihm schon Bücherwurm nach, obwohl sie ihn gar nicht kannten. Wenn es ganz dicke kam, riefen sie sogar ›jüdischer Bücherwurm‹.
»Nun komm schon. Sei kein Spielverderber«, versuchte Bruno Samuel zu überreden, sich mit den Büchern, die er gefunden hatte, in den kleinen leeren Raum zurückzuziehen.
Samuel war der Spaß vergangen. Er fragte sich, ob Bruno ihn nur benutzte und benutzt hatte, um an Geschichten zum Weiterspinnen für seine perversen Fantasien heranzukommen.
Seit sie in Münster studierten, stand Bruno immer dann bei ihm vor der Tür, wenn er etwas brauchte: ein Buch, Tinte, etwas zu essen. Das meiste davon sah er nie wieder, vor allem die Bücher nicht. Ein paar Studenten munkelten, Bruno würde sie gegen eine kleine Entschädigung verleihen. Samuel mochte nicht daran denken, er wusste nicht, wie er das unterbinden sollte.
»Was ist denn los?«, wollte Bruno wissen. Er klang bedauernd, doch Samuel erkannte hinter diesem Ton die Härte der Stimme. Er nahm auch die versteckte Drohung wahr: »Stell dich nicht so an. Wer weiß, ob du mich noch einmal brauchst!« Bruno grinste ihn an und hielt feixend ein weiteres Buch hoch: »Frühlings Erwachen«, las er den Titel vor. »Das Buch kenne ich, ich sage dir, da geht es ab. Das musst du gelesen haben.« Als Samuel nicht sofort reagierte, zögerte Bruno ganz kurz und fügte dann hinzu: »Vor allem als Mediziner!« Was sollte Samuel zu dieser Brücke sagen, die Bruno ihm da bot?
»Na gut«, sagte er nur und ging voran in den leeren Nebenraum, in dem sie schon als Jugendliche oft gesessen und einander nicht jugendfreie Texte vorgelesen hatten. So etwas schweißt doch zusammen, dachte Samuel zuversichtlich.
4
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Gerh a rd hat mich überredet, mit ihm ins Kino zu gehen. Ich wollte nicht, mir ist dieser Raum unheimlich. Alle sitzen in Reihen und starren nach vorn. Doch Gerhard hat nicht lockergelassen. Gleich am Eingang haben wir Herrn Osper getroffen, dem das Kino gehört. »Guten Tag, Fräulein Bessling«, hat er mich begrüßt und zu Gerhard gesagt: »Guten Tag, Herr Rotthues, Sie sind ja heute in hübscher Begleitung.« Mir war das peinlich. Aber dann hat er uns gezeigt, wie die Bilder an die Wand kommen. Unglaublich. Gegenüber von der Wand stand ein Filmprojektor. Auf diesem Gerät waren riesige runde Spulen, die aussahen wie die Räder der Pferdekutsche, mit der unser Nachbar zum Markt fährt.
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Der Film war schön. ›Die Drei von der Tankstelle‹ hieß er. Am b esten fand ich Hans. In Wirklichkeit heißt er Heinz Rühmann. Er wirkte so nett. Gerhard war fast ein bisschen eifersüchtig, als ich ihm erzählte, dass mir der Hans-Heinz gefallen hat. »Da hätte ich dich besser nicht ins Kino einladen sollen, wenn du dich gleich in einen anderen verliebst«, hat er gesagt und den Mund verzogen. Doch an seinen Augen habe ich gemerkt, dass er nur Spaß gemacht hat.
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Vor dem Film wurde die Wo c henschau gezeigt. Da habe ich wieder diesen Hitler gesehen. Bei einer Rede auf einem Parteitag. Wie der sich aufgespielt hat, schlimmer als beim letzten Mal. Gebrüllt hat er und die Leute haben geklatscht. Sogar im Kino haben sie geklatscht, als er seine Hand gehoben hat. Ich fand das albern und war froh, dass Gerhard nicht geklatscht hat.
Als Karina am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich völlig zerschlagen. In ihren Träumen hatte sie ihre Tante in den Armen eines Nationalsozialisten gesehen, der aussah wie Klaus Maria Brandauer. Wie die Frau im Film war sie über den Flur geschoben worden. Dann allerdings in ein Zimmer, das voller Bücher stand. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Topf auf einem offenen Feuer. »Los, koch eine Suppe aus den Büchern«, befahl der Brandauer-Nazi, neben dem plötzlich ein kleiner dunkelhaariger Mann erschienen war. »Nicht die Bücher, bitte nicht die Bücher«, brüllte er, während der Brandauer-Nazi die Tante anstachelte.
»Sieben Uhr«, murmelte Karina nach einem Blick auf die leuchtenden Ziffern. Normalerweise hätte Karina sich nach einer solchen Nacht wieder umgedreht und weitergeschlafen. Doch sie musste stets an ihre Tante denken. Vielleicht sollte sie im Laden nachsehen. Sie fragte sich, warum sie nicht eher auf die Idee gekommen war, das andere Haus ihrer Tante aufzusuchen.
Als ihr Vater sie gebeten hatte, das Haus auszuräumen, damit es verkauft werden konnte, hatten sie nur an das Haus der Großeltern gedacht, in
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