Brandbücher - Kriminalroman
liegen im Badezimmer«, rief Karina ihr nach. Sie schaltete die Stehlampe neben dem Kamin an und überlegte, ob sie das Feuer erneut anfachen sollte.
Als Teenager hatte sie dieser Kamin total genervt. Sie hatte darüber gelästert, wie altmodisch er war, wenn sie mit ihren Eltern zurück nach Stuttgart in ihre moderne Wohnung fuhr. Heute ließen sich viele Leute sogar nachträglich einen Kamin in die Wohnung einbauen. Ihr gefiel das leise Knistern, das Flackern und der leichte Geruch nach verbranntem Holz.
Sie lachte. Ich werde eben alt, dachte sie. Sie nahm ihr Netbook aus der Tasche und war froh, dass sie Jenny die Übertragungen der Karten diktiert hatte. Nun konnte sie überfliegen, was ihre Großtante geschrieben hatte. Soviel war klar, Tante Katharina hatte zuerst bei einem Nazi gearbeitet und dann in einem jüdischen Haushalt.
Aus den Karten konnte Karina nicht erkennen, wie viel ihre Großtante über die Judenverfolgung wusste. Auf jeden Fall konnte sie Hitler nicht leiden, da war es eher unwahrscheinlich, dass sie in seiner Partei war. Aber was verband sie mit dem Abbruchhaus in der Innenstadt und warum reagierten einige Leute zurückhaltend, wenn sie danach fragte? War das die übliche Zurückhaltung der Westfalen Fremden gegenüber?
Die Mappe! Die hatte sie ganz vergessen. Sie kramte in der Umhängetasche. Papa hat recht, das ist wirklich ein lederner Müllbeutel, dachte sie, als sie sah, was sich in der Tasche alles angesammelt hatte.
Die Mappe ist doch groß, die kann nicht einfach verschwinden, ärgerte sie sich. Sie ging in Gedanken die Stationen des Vormittags durch. Nach der Rückkehr aus der Stadt hatte sie die Mappe aus dem Kofferraum genommen. Aber wo war sie geblieben? Für einen Moment dachte sie, jemand wäre im Haus gewesen.
»Ich sollte echt keine Krimis anschauen«, brummte Karina, als sie die Unterlagen unter dem Anzeigenblatt fand, in dem sie am frühen Abend nach einem italienischen Restaurant gesucht hatte.
Sie schlug die Mappe auf. Bereits die kleine Schrift auf den ersten voll beschriebenen Seiten machte sie müde. Sie blätterte weiter und entdeckte ein Dokument, das wie ein Vertrag aussah.
»Kaufvertrag«, entzifferte sie das Wort, das oben auf der ersten Seite in dicken schwarzen Großbuchstaben stand. Sie erinnerte sich an ihren Mietvertrag im Studentenwohnheim, auch da standen unter der Überschrift zwei schmale Blöcke mit dem Namen und der Adresse des Vermieters und ihrem eigenen Namen und der Adresse ihrer Eltern. Sie verglich dieses Bild mit dem Schriftbild des Kaufvertrags. In dem ersten schmalen Block tauchte die Ziffer 6 auf, das war die Hausnummer des alten Hauses in der Vennestraße. Wenn sie das Wort, das darunter stand, richtig entziffert hatte, dann war das der Ortsname, der auch in dem zweiten schmalen Block auftauchte.
Das, was über dem Ortsnamen stand, sagte Karina nichts, bis auf die Zahl, die der Hausnummer des Hauses der Großeltern entsprach, in dem sie gerade saß. Die ersten beiden Buchstaben des Namens darüber waren identisch mit denen im Kaufvertrag.
»Das heißt sicher Katharina Bessling«, beschloss Karina, doch mit wem hatte ihre Tante einen Kaufvertrag abgeschlossen und worüber? Karina ärgerte sich über die Druckschrift, die schwerer zu lesen war als die deutsche Schrift. Sie verglich die Buchstaben von Katharina Bessling mit dem oberen Namen. Der zweite Buchstabe musste ein A sein, die letzte Silbe des Nachnamens konnte ›mann‹ bedeuten.
Karina holte ein Blatt Papier und malte für jeden Buchstaben einen Strich. Sie trug alle Buchstaben ein, die sie sicher entziffern konnte.
›_ a _ _ _ _ ei _ mann‹, stand auf dem Zettel. »Das habe ich schon mal gelesen«, grübelte Karina laut und stand auf. Dann setzte sie sich wieder hin und betrachtete auf ihrem Netbook die Übertragungen der Karten.
»Weizmann! Das ist es!«, jubelte Karina und fragte sich im gleichen Augenblick, worüber sie sich freute. Sie hatte einen Namen entziffert und wusste, dass es einen Kaufvertrag zwischen einem Weizmann und ihrer Tante gegeben hatte. Worum es in dem Vertrag ging, wusste sie nicht, und ob es sich bei dem Weizmann um den Vorgesetzten ihrer Großtante handelte oder seinen Sohn, das ging aus dem Dokument nicht hervor.
Karina sprang auf. Sie suchte im Dokument nach einem Datum. Wegen der Schrift war sie sich sicher, dass es aus der Zeit vor dem Krieg stammen musste. Andererseits hatte sie keine Ahnung, wie lange hier in der Provinz und eigentlich
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