Brandbücher - Kriminalroman
Der Mann sah Samuel mit einem Bedauern an, das Samuel falsch vorkam. Am liebsten hätte er ihm vor die Füße gespuckt, er konnte sich aber beherrschen. Noch befand sich alles, was er besaß, in dem Zimmer hinter dem Mann. Er nickte stumm und ging mit schweren Schritten die wenigen Treppenstufen hinauf.
»Ich werde um 20 Uhr fertig sein«, flüsterte er, ohne seinen Zimmerwirt anzusehen. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Früher hatten er und seine Kommilitonen aus Spaß davon gesprochen, auf einer Parkbank zu übernachten. »Welche Bank nimmt jeden auf?«, hatten die anderen Studenten gewitzelt. »Die Parkbank«, hatten sie sich selbst geantwortet und laut gelacht.
»Eine Decke gehört in jeden Studentenkoffer«, hieß es ein anderes Mal. »Mit einer Decke und einer Flasche Bier wird jede Parkbank zum Himmelbett!«
Seit er die Schrift auf der Bahnhofsbank in Steinfurt gesehen hatte, wusste Samuel, dass das für ihn nicht mehr zutraf. Die Erlebnisse in den letzten Wochen hatten ihm gezeigt, wo sein Platz war. Nicht in einem Haus der Burschenschaft Welfenia, nicht in dem möblierten Zimmer einer Münsteraner Arztfamilie, nicht einmal auf einer Parkbank.
10
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Der Reichst a g hat gebrannt! Heute Nacht. Gerhard ist durch den Laden in die Küche gekommen, um mir das zu sagen. Das hat er noch nie gemacht. Meist kommt er durch die Haustür. Herr Weizmann hat nichts dagegen, dass ich Besuch bekomme. »Hauptsache, die Arbeit wird getan«, sagt er immer und: »Solange ich nicht hungern muss, kann Ihr Freund Sie gerne besuchen!« Dabei lacht er freundlich. Ein netter Mann, der Herr Weizmann. Gar nicht so, wie die Juden überall beschrieben werden. Na gut, er hat braune Augen und dunkle Haare, aber das haben andere auch.
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Ich verstehe nicht, woran die Braunhemden dunkelhaarige Deutsche von dunkelhaarigen Juden unterscheiden wollen. Außerdem sind Juden doch auch Deutsche, oder nicht? Jetzt b ehaupten sie, die Kommunisten hätten den Reichstag in Brand gesteckt. Gerhard hat gesagt, dass Georg weg ist. Er ist nach Holland gefahren mit dem Fahrrad. Doktor Schulze-Möllering und die anderen aus seiner Partei haben Georg schon lange auf dem Kieker, das habe ich wohl gemerkt. Jedes Mal, wenn der Doktor bei uns war, um ein Buch zu kaufen, hat er mich gefragt: »Hat dein Bruder es sich schon anders überlegt, Katharina?«
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Nur gut, dass wir oft na c h Holland gefahren sind und Georg dort Freunde hat. Die helfen ihm. In Holland hat dieser blöde Hitler nichts zu sagen. Gerhard überlegt, ob er auch dorthin fährt. »Ein Künstler passt nicht in eine Partei«, hat er schon früher zu Georg gesagt. Seit mich Berta für ihre Partei anwerben wollte, wiederholt er das dauernd. Als ob ich ihn überreden wollte. Ich bin doch froh, dass er damit nichts am Hut hat. Es reicht, dass ich mir um Georg Sorgen mache.
Karina hatte das Feuer im Kamin doch wieder in Gang gebracht. Da saß sie nun mit Martin Kleine und ihrer Freundin Jenny, die zu ihrem Erstaunen auf jegliche Annährungsversuche verzichtete. Gemeinsam starrten sie auf den Ausdruck einer E-Mail, den Martin in der Hand hielt.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so spät gestört habe«, sagte der Pfarrer, »aber eine solche E-Mail bekomme ich nicht alle Tage und es war für mich gleich klar, dass es um Sie oder besser um Ihre Tante geht.«
»Das ist schon okay«, beruhigte ihn Karina. »Lesen Sie noch einmal vor, was der Typ geschrieben hat.«
»Halt dich raus! Diese neugierige Gans sorgt für genug Aufregung wegen dem Haus!«, las Pfarrer Kleine.
Karina schüttelte sich. »Woher weiß der Typ, dass wir über das Haus und meine Tante gesprochen haben?«, fragte sie laut in die Stille hinein, die nur durch das gelegentliche Knacken des Holzes im Kamin gestört wurde. »Wir haben uns in dem Café getroffen, da wird man ja wohl nicht abgehört. Wir sind doch hier nicht in der DDR. Big Brother is watching you, oder was?«, schimpfte sie und sah Martin Kleine an, als könnte er ihr darauf eine Antwort geben.
Der Pfarrer lachte unsicher. »So weit ist es wohl nicht, aber hier achtet eben jeder auf jeden. Da bleibt nichts geheim, schon gar nicht, wenn ein Pfarrer mit einer hübschen jungen Frau im Café sitzt.« Er zwinkerte Karina zu.
Jenny stöhnte. »Das gibt’s doch echt nicht. Das ist ja schlimmer als die Tochter eines Promis zu sein.«
Karina wusste, wovon ihre Freundin sprach. Sie war selbst einmal Zeugin geworden, wie ein Fotograf versuchte, über
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