Brandbücher - Kriminalroman
und erkannte ein Schweißband, an das Buttons geheftet waren. Wie kann jemand in dem Alter so herumlaufen?, fragte sie sich. Sie kam nicht mehr dazu, sich selbst eine Antwort zu geben, da stand Maibaum schon vor ihr.
»Ich habe gehört, Sie wollen zu Katte.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung und so, wie Maibaum sie ansah, hatte Karina keinen Zweifel daran, dass er genau wusste, wer sie war.
»Ich war gerade in der Gegend und recherchiere für einen Artikel über die Familie Schulze-Möllering«, antwortete Karina und versuchte, so viel Dreistigkeit wie möglich in ihre Stimme zu legen.
Pelle Maibaum grinste sie an, als wollte er sagen: Und ich nähe meine Lederjacken selbst. »Dann will ich Sie mal zu unserem großen Meister führen.«
Er legte seine Hand um Karinas Schulter. Karina bekam eine Gänsehaut, sie drückte ihre Umhängetasche fest an sich. Zu fest scheinbar, denn Pelle Maibaum fragte: »Haben Sie Angst, dass wir Ihnen die Tasche stehlen? Das brauchen Sie nicht. Hier sind Sie sicher!«
Der Ton ließ Karina zum ersten Mal daran zweifeln, ob der Besuch der Boxschule wirklich eine gute Idee war. Sie dachte darüber nach, wie sie hier ungeschoren herauskommen konnte. Ihr Blick fiel auf das merkwürdige Armband von Pelle Maibaum. Es war übersät mit Buttons, alle zeigten das Logo der Boxschule, nur an einer einzigen schmalen Stelle war das schwarze Band darunter zu sehen. Karina war sicher, dass sich dort bis vor Kurzem noch der Button befunden hatte, der nun in einem Tütchen auf der Polizeiwache lag.
Sie beschloss, kein Risiko einzugehen. Sie täuschte einen Hustenanfall vor und war selbst überrascht, welche schauspielerischen Fähigkeiten in ihr schlummerten. Immerhin war sie so überzeugend, dass Pelle Maibaum sie von einem jungen Mann zur Toilette führen ließ. Zwar schärfte er ihm ein, sie auf jeden Fall zurückzubringen, dachte aber nicht daran, dass die Besuchertoiletten direkt neben dem Eingang lagen und der junge Mann wenig Lust daran hatte, zu warten, bis Karinas Hustenanfall abgeebbt war. Als sie hinter der Toilettentür verschwand, versprach sie ihm, in die Halle zurückzukehren, obwohl sie wusste, dass sie dieses Versprechen nicht einhalten würde.
*
Samuel fühlte sich unwohl. Er ärgerte sich, weil er sich wieder nicht gegen Bruno hatte wehren können. Aber was sollte er auch sonst machen? Er hatte unverhohlen damit gedroht, Katharina zu überfallen oder ihren kleinen Bruder zu entführen, wenn er nicht mit ihm kam.
Nun saß er neben Bruno im Auto, der trotz seines Erfolgs schlecht gelaunt war.
Samuel war froh, als sie endlich in Münster hielten.
»Lass uns da raus!«, befahl Bruno dem Chauffeur. Als sie ausstiegen, standen sie mitten in einer Menschenmenge. Alle starrten auf den Eingang der Uni. »Und, habe ich dir zu viel versprochen?« Bruno stieß Samuel in die Seite.
Samuel tat, als hätte er weder den Stoß noch die Frage bemerkt. Er bewegte den Mund, als würde er wie die anderen Teilnehmer ›Burschen heraus‹ singen und betrachtete mit Unbehagen den Holzpfahl, der links neben dem Säulenportal der Universität am Domplatz stand. Er wirkte völlig fehl am Platz.
Samuel sah, wie sich Brunos Gesicht verzerrte, als Roloff das Wort ergriff. »Da sollte ich stehen«, zischte Bruno ihm zu. »Ohne mich gäbe es diese ganze Aktion nicht. Da!« Bruno zeigte auf den Holzpfahl. »Diesen Schandpfahl haben sie nur mir zu verdanken.« Samuel nickte, was sollte er auch sagen.
»Wir Studenten haben eine wichtige Aufgabe im Dritten Reich«, rief Roloff, der neben dem Schandpfahl stand. »Wer sonst außer uns kann dafür sorgen, dass der undeutsche Geist in den Schriften ausgemerzt wird? Die Aufgabe heißt: Ausschaltung des jüdischen und liberalistischen Schrifttums aus dem Geistesleben der deutschen Nation. Dadurch wird der Weg frei für deutsche Dichter und Denker. Namen wie Toller, Tucholsky und so weiter müssen verschwinden.*«
Samuel dachte an seine Lieblingsbücher ›Rheinsberg‹ und ›Schloss Gripsholm‹, beide waren von Kurt Tucholsky, der ansonsten vor allem scharfe Artikel gegen den Krieg und für die Demokratie geschrieben hatte.
»Der deutsche Student hat die Aufgabe, den Werken der Dichter, die schon seit Jahren für die nationale Erhebung gekämpft haben, einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz im deutschen Volksleben zu beschaffen*«, fuhr Roloff fort und zählte Schriftsteller auf, deren Namen Samuel vage bekannt vorkamen. Gelesen hatte er von
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