Brandbücher - Kriminalroman
bereitete seinen Computer vor und drückte ihr den Kopfhörer mit dem Mikrofon in die Hand.
»Sei froh, dass ich schon ein Skype-Konto habe, weil ich gelegentlich mit einem Studienkollegen in Namibia telefoniere«, erklärte er. »Sonst kann man nämlich keine Festnetzanschlüsse anrufen und eine Skype-Adresse von Jonathan Weizmann hast du ja nicht, oder?«
Karina schüttelte den Kopf, während sie den Kopfhörer zurechtrückte. Sie wählte die Nummer, die sie notiert hatte, und war wenig später mit dem Enkel Samuel Weizmanns verbunden. Sie erkundigte sich, ob jemand aus seiner Familie Geld von ihrer Großtante erhalten hatte.
Jonathan sprach wieder so schnell, dass sie kaum mitkam. Sie verstand aber immerhin so viel, dass ihre Großtante Jonathans Vater vor einigen Jahren einen Scheck über einen größeren Geldbetrag geschickt hatte. Damals waren alle ziemlich ratlos, was es mit dem Geld auf sich hatte. Erst nach einem Telefonat stellte sich heraus, dass Karinas Großtante damit die Bedingung aus dem Kaufvertrag einlösen wollte, den sie 1933 mit Jakob Weizmann abgeschlossen hatte.
Jonathan versprach, nachzuschauen, wann genau die Zahlung eingegangen war. Er notierte sich Martins Skype-Adresse und versprach zurückzurufen, sobald er etwas herausgefunden hatte. Sie unterbrachen das Gespräch für einige Minuten, in denen Karina Martin von dem Zeitungsartikel über die Vergewaltigung erzählte.
»Wer kann etwas darüber wissen?«, grübelte Karina. »Alle Beteiligten sind längst tot und in Tante Katharinas Unterlagen finde ich keinen Hinweis.«
»Die Karten beginnen erst am Tag, nachdem Hitler Reichskanzler wurde.« Martin schrieb mit einem Bleistift das Datum ›30.01.1933‹ auf einen Ausdruck, der neben dem Computer lag. »Vielleicht hat sie schon vorher Karten geschrieben oder Tagebuch geführt.«
Karina legte den Kopf in den Nacken und überlegte. Sie hatte alle Unterlagen gesichtet, ein Tagebuch wäre ihr aufgefallen.
»Lass uns gleich noch einmal in das Haus fahren«, schlug Martin vor. »Wir müssen irgendetwas übersehen haben.«
Da meldete sich Jonathan Weizmann wieder. »Ich habe hier etwas gefunden, in unserer Familienchronik steht unter dem 26. Iyyar 5762, dass ein Scheck über 50.000 Euro eingegangen ist. Mein Vater hat notiert, dass er zur Erfüllung des Kaufvertrags vom 26. Iyyar 5693 gedacht ist.«
Karina erklärte ihm, dass sie den Inhalt verstanden hatte, aber mit den Daten nichts anfangen konnte. Der Monatsname Iyyar war ihr unbekannt.
Jonathan lachte und entschuldigte sich, dass er ihnen die jüdischen Daten genannt hatte, weil das Familienbuch mit diesen Daten arbeitete.
»Können Sie das Datum buchstabieren?«, bat Karina. Sie schrieb jede Ziffer und jeden Buchstaben einzeln mit. »Vielen Dank«, sagte sie und wollte schon auflegen, als Martin eine weitere Frage äußerte: »Steht in dem Familienbuch zufällig auch, wann Katharina Bessling als Hausangestellte eingestellt wurde?«
Karina verdrehte die Augen. »Das Buch wird ja wohl nicht bis in die 30er-Jahre zurückreichen«, flüsterte sie.
Doch Martin lächelte nur. Da sagte Jonathan Weizmann auch schon: »Das war am 5. Kislev 5692.«
Karina starrte Martin verblüfft an. »Reicht das Buch wirklich so weit zurück?«, wollte sie von Jonathan wissen. Der erklärte ihr, dass das Familienbuch sogar bis ins Jahr 5000 zurückreichte, also etwa bis ins 13. Jahrhundert nach gregorianischer Zeitrechnung.
»Woher wusstest du das?«, war Karinas erste Frage, nachdem sie sich von Jonathan verabschiedet und versprochen hatte, ihn einmal zu besuchen.
»Mir ist eingefallen, dass ich das in meinem Studium gehört habe. Wir hatten auch Lehrveranstaltungen zu anderen Religionen. Da wurde erwähnt, dass viele jüdische Familien solche Bücher haben, die weit zurückreichen«, antwortete Martin. Er kritzelte weiter auf seinem Block und kürzte Jonathans Datumsangabe ab. »Schau mal!«, sagte er und zeigte ihr die Abkürzung 26IY5762. »Kommt dir das nicht bekannt vor?«
»Es sieht so aus wie die Daten auf den Postkarten. Du meinst, Tante Katharina hat die Daten verschlüsselt?«, Karina öffnete die Datei mit den Scans auf ihrem Netbook.
»Vielleicht hat sie sie gar nicht verschlüsselt, vielleicht hat sie einfach nur den Kalender ihres Arbeitgebers verwendet und sich nicht viele Gedanken darum gemacht?«, meinte Martin und suchte im Internet nach einem jüdischen Kalender. Er fand einen Datumsrechner und gab die Daten ein, die Jonathan
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