Brandbücher - Kriminalroman
Grundbücher waren deutlich aufschlussreicher und Karina hatte das Gefühl, das sich wieder zwei Puzzleteile ineinanderfügten.
*
Samuel fuhr weiter trotzig nach Münster, wo Professor Feinstein ebenso trotzig an seinen Vorlesungen festhielt. Die Bankreihen waren weitgehend leer, außer Samuel wagten sich nur wenige Juden in die Universität, und nur ein paar Studenten, von denen Samuel wusste, dass sie in der Christlichen Jugend engagiert waren, saßen neben ihm in den Bänken.
Der scheinbare Friede währte nicht lange. Professor Feinstein schilderte gerade, was passieren konnte, wenn die Bauchspeicheldrüse nicht richtig arbeitete, da flog die Tür auf und krachte gegen die Wand.
»Mal sehen, wer sich mit den Juden verbündet!« Samuel brauchte gar nicht hinzusehen, er wusste auch so, dass Bruno Schulze-Möllering die Störung verursachte.
Bruno lehnte sich an die Wand und zog demonstrativ einen Spiralblock und einen Bleistift hervor. »Oho, mein alter Freund Samuel Weizmann«, höhnte er. »Wie kommen wir denn schon so früh nach Münster? Wohl heimlich bei einem Juden gepennt, was? Oder einem Judenfreund etwa?«
Samuel tat, als hätte er die Provokation nicht gehört, das war das Beste, was er tun konnte, zumal Professor Feinstein einfach weitersprach, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben.
»Und du da, wer bist du?« Bruno versuchte die Stimme des Professors zu übertönen und zeigte auf einen Studenten, der zwei Reihen hinter Samuel saß.
»Ich bin …«, stotterte der.
Samuel zischte ihm zu: »Antworte nicht.«
Das brachte Bruno so in Rage, dass er von Student zu Student lief, sich vor jedem aufbaute und lauthals seinen Namen verlangte.
»Paul Müller«, sagte der Erste. Samuel zuckte zusammen, er wusste genau, dass der Kommilitone Josef Landau hieß. Doch Bruno schrieb eifrig Paul Müller auf. »Martin Maier«, verkündete der nächste Student, dessen Name in Wirklichkeit Isaak Cohen war. Die anderen hatten das Prinzip schnell verstanden. Samuel hoffte, dass es in der Studentenkartei wirklich mehrere Studenten mit diesen Namen gab, die sie sich ausdachten, und nicht ein völlig Unbeteiligter Probleme bekommen würde. Bei diesen Braunhemden musste man mit allem rechnen.
»Bruno, nun komm endlich!« In der Tür erschien ein weiterer Student in einem braunen Pullover. »Roloff hat eine Versammlung einberufen, wegen der Post vom Hauptamt.«
Widerwillig wandte Bruno sich von den Studenten ab. Er spuckte vor das Katheder des Professors und rief im Hinausgehen: »Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!«
Samuel entschuldigte sich damit, dass er etwas Dringendes zu erledigen hätte, und folgte Bruno und dem anderen Studenten. Den Namen Roloff hatte er schon einmal im Zusammenhang mit dieser Aktion gegen den undeutschen Geist gehört. Samuel musste wissen, was es da Neues gab.
Das Hauptamt für Propaganda der Studentenschaft befand sich zum Park hinaus. Samuel hatte die Bank unter dem Fenster schon früher entdeckt und schlich sich gleich dorthin. Die Vorlesungen liefen und es waren kaum Professoren und Studenten unterwegs.
»Das ist eine Frechheit«, hörte er eine unbekannte Stimme mit einem feinen Lispeln. »Ich habe schon den Pfahl zurechtsägen lassen. Genau in der vorgeschriebenen Länge, so groß wie ich.«
Lachen dröhnte aus dem Fenster. »Mensch, es war von mannshoch die Rede und nicht von männleinhoch«, stichelte jemand. Wieder lachten die anderen.
»Ruhe! Heil Hitler!«, rief Bruno, der anscheinend gerade erst den Raum betreten hatte.
»Heil Hitler, Schulze-Möllering, für die Ruhe hier bin ich zuständig!«, entgegnete ein anderer.
»Pah, Roloff, hast du je etwas zustande gebracht!« Brunos Stimme kam näher. »Nicht mal diesen Schandpfahl wolltest du aufstellen.«
»Zu Recht, wie sich jetzt zeigt.« In Roloffs Stimme klang ein Triumph mit, als er vorlas: »Infolge der augenblicklichen politischen Situation hat die Aufstellung des Schandpfahls nicht mehr die gleiche Dringlichkeit wie noch vor zwei Wochen: Sie ist deswegen, soweit nicht bereits geschehen, auf einen Zeitpunkt einstweilen zurückzustellen, der noch angegeben wird und in dem die Aufstellung als symbolischer Akt dringender benötigt wird als im Augenblick. Mit der nächsten Post erhalten Sie ein ausführliches Rundschreiben über Einzelheiten des Professorenboykotts. Vorher ist nichts zu unternehmen.* Das kam soeben von der Studentenschaft aus Berlin«, schloss er seinen Vortrag.
»So eine Scheiße!«
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