Brandfährte (German Edition)
zugesprochen und in einer Frühbesprechung alle Fakten und Thesen noch einmal wiederholt. Aber er spürte, dass sie den Beamten nicht mehr viele weitere Nächte und Überstunden würden zumuten können.
Auch das ältere Ehepaar von gegenüber, bei dem sie sich in einem Zimmer mehr oder weniger einquartiert hatten, fragte bereits, wann die Aktion der »Herren Kommissare« denn beendet sei. Eine Woche war vergangen, und noch nichts war passiert.
Richard Mohle ging morgens zur Arbeit, fuhr am frühen Abend mit dem Rad gemütlich an der Weser spazieren und ging immer gegen 23 Uhr zu Bett.
Nach acht Tagen kam es beinahe zum Streit zwischen Tewes und einem Abteilungsleiter aus dem Rauschgiftkommissariat. Der Abteilungsleiter brauchte dringend SEK -Beamte für eine Razzia. Steenhoff hatte schließlich vorgeschlagen, die SEK -Beamten für einen Abend abzuziehen, Mohle aber in dieser Nacht jede Minute von zwei Männern des MEK beobachten zu lassen.
«Wenn er sich in Richtung Horn aufmacht, bin nicht nur ich da, sondern auch die Kollegen vom MEK », hatte er beruhigend zu Tewes gesagt. Da auch Rüttger und Petersen einverstanden waren, bezog Steenhoff in dieser Nacht Posten im Haus gegenüber. Ira hatte sich vorsorglich bei Katrin eingeladen. Jetzt, wo ihr «Feind», wie sie Richard Mohle inzwischen nannte, einen Namen und ein Gesicht bekommen hatte, wirkte sie auf Steenhoff noch ängstlicher. Auch für Ira war es höchste Zeit, dass sie den Mörder von Maike Ahlers und den Täter, der Martina Benke so schwer verletzt hatte, endlich überführten.
Steenhoff hatte sich eine Tasche mit Kaffee, Keksen und einem kleinen Radio mitgenommen. Er wusste, das Schwierigste war, die ganze Nacht wach zu bleiben. Um 23 . 30 Uhr meldeten sich die Kollegen vom MEK per Funk bei ihm: «Er hat jetzt das Licht ausgemacht. Wir bleiben in seiner Straße.»
Einen Moment lang beneidete Steenhoff den Mann. Er hätte viel dafür gegeben, endlich einmal wieder in Ruhe zu schlafen. Aber er lag nachts oft wach und ging die Akten in Gedanken durch. In den vergangenen Tagen hatten auch ihn manchmal die Zweifel an Mohles Täterschaft gepackt. Aber er hatte seine Befürchtungen, sie könnten womöglich doch auf das falsche Pferd gesetzt haben, nicht einmal Petersen oder Rüttger mitgeteilt.
Es war 23 . 35 Uhr, als ein kleiner Lieferwagen mit einer aufgemalten überdimensionalen Pizza vor Rüttgers Haus hielt. Steenhoff musste schmunzeln. Seine Kollegen wollten es sich an diesem Abend offenbar gutgehen lassen.
Ein Mann stieg aus, holte einen grünen Styroporkarton aus dem Fond und ging mit eiligen Schritten auf Rüttgers Haus zu. Steenhoff überkam ein leises Hungergefühl. Er liebte Pizza. Besonders die mit Spinat und Schafskäse vom Italiener beim Bahnhof.
Petersen dagegen ertrug lieber ihr Magenknurren, als das «italienische Fastfood», wie sie die Pizza nannte, zu essen. Und Rüttger …
Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter. Plötzlich hatte er einen jungen Malergesellen vor Augen, der im Sommer gestanden hatte, seine Großmutter erschlagen zu haben. Tewes hatte für die Mordkommission in der Nacht eine große Pizza ins Präsidium bestellt. Petersen hatte wie üblich abgelehnt. Und Rüttger, der zufällig an dem Abend von den Brandermittlern in ihr Konferenzzimmer gekommen war, hatte auch nichts angerührt. «Von dem Pizzateig kriege ich immer Sodbrennen», hatte er bedauernd erklärt.
Steenhoff riss die Tür zum Flur auf. Vor ihm stand die alte Frau, die gerade ins Bad gehen wollte. Erschrocken sah sie ihn an. Steenhoff schob sie beiseite, stürzte aus dem Haus und zerrte seinen Revolver aus dem Holster. Er hatte die Straße noch nicht ganz überquert, als er aus der Entfernung sah, wie Petersen gerade dem Pizzakurier öffnete. Der Mann lächelte sie an.
Das Benzin traf sie völlig unvorbereitet.
Steenhoff sah, wie die Flüssigkeit aus ihren langen Haaren auf den Boden tropfte. Fassungslos starrte sie an ihrer Bluse hinunter. Der Mann warf die gläserne Karaffe und den grünen Karton ins Beet.
Entsetzt sah Steenhoff, dass Richard Mohle plötzlich ein Feuerzeug in der rechten Hand hielt. Die kleine Flamme züngelte hell in dem dunklen Durchgang auf.
Steenhoff meinte, das Benzin zu riechen, die Nässe an Petersens Haut zu spüren, zu fühlen, wie der benzingetränkte Stoff an ihrem Oberkörper klebte.
Aber er war weit weg. Zu weit.
20 , 25 Meter trennten ihn von der Szene. Petersen war unerreichbar.
Wie in
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