Brandfährte (German Edition)
Zeitlupe sah er sich über den Zaun springen, so als wäre er 25 und nicht 47 Jahre alt. Er hörte, wie etwas neben ihm polterte. Seine Waffe, die ihm aus der schweißnassen Hand gerutscht war, schlitterte in ein Gebüsch. Er machte noch nicht einmal den Versuch, sich zu bücken. Er brauchte keine Waffe. Wenn es sein musste, würde er Mohle mit bloßen Händen erwürgen. Sechs, sieben Meter trennten ihn noch von den beiden. Noch immer stand Petersen wie angewurzelt vor dem Mann.
‹Bitte, gib mir zwei Sekunden›, betete Steenhoff.
In dem Moment sah Mohle ihn kommen. Sein rechter Arm schnellte nach vorn. Die Flamme züngelte dicht vor Navidehs Körper. Steenhoff hörte sich schreien. Er sah, wie Petersen zurückzuckte und endlich aus ihrer Erstarrung erwachte.
Aber es war zu spät.
Die ersten Flammen leckten an ihrer tropfnassen, benzingetränkten Bluse.
Gleich würde sie wie eine Fackel brennen.
Das nächste Bild würde Steenhoff nie vergessen:
Plötzlich schneite es, und jemand riss Petersen herum.
Von einem Moment zum anderen stand sie in einer Art Schneewehe. Ihre Haare, ihre Schultern, die Hose – alles war weiß. Mit ihren langen hennagefärbten Haaren sah sie wie eine Prinzessin aus einem Märchen aus. Rüttger stand hinter ihr und besprühte sie unablässig. Erst jetzt erkannte Steenhoff, dass es der Pulverlöscher war. Als er leer war, warf er ihn dem Flüchtenden hinterher. Aber er verfehlte den Mann.
Mohle rannte in den dunklen hinteren Teil des Gartens. Nur niedrige Hecken trennten die weit verzweigten Gärten. In Höhe von Rüttgers Teich hatte Steenhoff Mohle fast eingeholt. Wie ein Torwart, der all seine Kraft und Energie auf einen Punkt konzentriert, warf er sich auf den Mann. Ineinander verkeilt, stürzten sie in den Teich. Eisige Kälte umfing sie.
Der erste Faustschlag traf Mohle unterhalb des Kinns. Er taumelte und fiel, ohne sich abzustützen, erneut ins Wasser. Steenhoff riss ihn hoch und schlug ein zweites Mal zu. Es knackte. Vermutlich hatte er ihm die Nase zertrümmert.
Über Mohles Gesicht schlug das Wasser zusammen. Verzweifelt versuchte er, wieder hochzukommen, nach Luft zu schnappen. Aber Steenhoff drückte ihn erneut unter die Wasseroberfläche.
Mohles Arme und Beine zappelten, durchpflügten das Wasser und suchten nach Halt oder etwas, an dem sie sich festklammern konnten. Aber sie fanden nichts.
Steenhoff stieß ihn noch weiter in den aufgewühlten Schlamm. Er fühlte nichts. Kein Mitleid, keinen Hass, nur den Willen, seinen Gegner zu vernichten.
Blasen stiegen auf. Im schwachen Lichtschein, der vom Wohnzimmer in den Garten fiel, sah Steenhoff Mohles zur Fratze verzerrtes Gesicht unter Wasser. Dieser Mann hatte eine Frau bei lebendigem Leib verbrennen lassen, eine andere niedergeschlagen, nur um ihn, Steenhoff, vor aller Welt unmöglich zu machen. Er war Ira gefährlich nah gekommen und hätte um ein Haar Petersen getötet. Mohles Augäpfel traten aus den Augenhöhlen. Mit aller Kraft hielt Steenhoff ihn weiter unter Wasser. Endlich würde alles vorbei sein.
«Frank? Wo bist du? Frank?»
Steenhoff hörte Petersens dumpfe eilige Schritte auf dem feuchten Rasen hinter sich. Die Stimme seiner Kollegin ließ ihn aus seiner Trance erwachen.
Mit einem Ruck riss er Mohle aus dem Wasser und warf den nach Luft schnappenden Mann, einem nassen Sack gleich, an die Uferböschung. Sekunden später stand Rüttger neben ihm und legte Mohle Handschellen an.
Steenhoff atmete schwer. Breitbeinig stand er mit einem Bein knietief im Teich, mit dem anderen auf der Böschung.
Petersen war blass, schien aber unverletzt.
Erleichtert strich Steenhoff ihr eine weiße Strähne aus dem Gesicht.
Dann sah er an ihr hinunter.
«Verdammt, Navideh! Du bist ja ganz nass. Du wirst dich erkälten.»
Sie musterte den völlig verdreckten Mann vor sich und grinste breit.
«Im Vergleich zu dir bin ich knochentrocken – und noch gesellschaftsfähig.»
27
Die Mitglieder der Mordkommission verfolgten konzentriert Steenhoffs Bericht. Steenhoff stand an dem Flipchart und machte parallel zu seinen Ausführungen Notizen auf dem Papier, die er abwechselnd rot oder blau unterstrich. Er musste sich häufiger schnäuzen. Eine starke Erkältung kündigte sich an. So trug er an diesem Tag auch einen enggewebten dänischen Pullover, den ihm Ira von einer Bornholmreise mitgebracht hatte. Die spektakuläre Festnahme des gesuchten Mörders hatte sich wie ein Lauffeuer im Präsidium verbreitet. Und auch die
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