Brandhei
Sommermonate verbrachte sie ihre Zeit damit, durch irgendeine Stadt, in der sie sich gerade aufhielten, zu schlendern; und häufig fand sie sich bei irgendeinem Pferdestall wieder, den sie ausfindig gemacht hatte.
Als sie sechs war, wollte sie ein Pferd werden, wenn sie erwachsen war. Ein wilder Hengst, ohne Einzäunung und betrunkene Mutter. Und ohne andere Erwachsene. Das wollte sie.
Mit acht war ihr klar, dass dieser Traum sich nicht erfüllen
würde. Deshalb verfolgte sie fortan einen anderen – den Traum nach Freiheit. Sie hatte entdeckt, dass Menschen bereit waren, ihr Geld dafür zu geben, dass sie die Pferdeställe sauber machte, und wenn sie es besonders gut machte, zahlte man ihr sogar noch mehr Geld. Bei völliger Unabhängigkeit.
Als sie Richard Rawlins kennen lernte, war sie eine Einzelgängerin, ein etwas zynischer Teenager, der nur wusste, dass ihm die Atmosphäre der Blue-Flame-Ranch sofort gefallen hatte. Die Hof war sauber, die Ställe, Scheunen und das Haus auch, wenn auch etwas schäbig, und die Tiere lebten glücklich auf den Koppeln und Weiden.
Außerdem gab es auf dieser Ranch, anders als auf den anderen, auf denen sie schon gewesen war, auch Gäste, die kamen und so taten, als erlebten sie den Wilden Westen live. Ständig kamen und gingen neue und interessante Urlauber, immer gab es Abenteuer. Das gefiel ihr besser als alles andere, was sie bisher gesehen hatte.
»So …« Richard hatte sie mit einem unergründlichen Blick gemustert. »Du kannst also Ställe sauber machen …« Er war nicht gerade dafür bekannt, geduldig oder gar besonders freundlich zu sein, aber da Callie bisher nichts dergleichen erlebt hatte, hatte sie auch keinerlei Erwartungen. Sie wollte lediglich einen Platz zum Schlafen und eine Stelle, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte.
»Na, dann fangen wir mal damit an, dass du die Boxen sauber machst«, sagte Richard und nickte dabei. »Aber ich denke, dass du dir ruhig mehr zutrauen solltest, wenn ich dich das nächste Mal frage, was du so kannst. Also, halt die Augen offen.«
Das hatte sie getan. Und sie tat es immer noch. Das war jetzt zwölf Jahre her, und seitdem war sie hier, hatte sich
die Hierarchie hochgearbeitet, hatte erlebt, wie andere Mitarbeiter mit Richard, der dickschädelig und unnachgiebig sein konnte, aneinandergerieten, und sich darüber gewundert, dass diese einfach dieses nicht begriffen konnten: Richard wollte seine Ruhe haben, und sie sollten ihrer Arbeit nachgehen. Mitarbeiter kamen und gingen, aber sie hatte nie verstehen können, wie jemand von hier fortgehen konnte.
Callie ging nie fort, nur im Urlaub.
Und dann war da noch dieses eine Mal gewesen, als sie gekündigt hatte, um etwas wirklich Dummes zu tun – zu heiraten.
Aber das hielt nur so lange, bis sie ihre Dummheit eingesehen hatte. Und Richard war nur zu bereit, sie wieder einzustellen. So ließ sie sich, durch ihre Fehler klüger geworden, erneut auf der Blue-Flame-Ranch nieder, und die Zeit und dieser Ort hatten ihr den Schmerz nach und nach genommen.
Vor zwei Jahren schließlich war Richard zu einem langen Ausritt aufgebrochen. Niemand hatte sich darüber irgendwelche Gedanken gemacht, nicht zu Beginn und auch nicht, als er nach vier Tagen immer noch nicht wieder zurückgekehrt war. Er war immer mal wieder zu eigenen Abenteuern aufgebrochen – so lange oder noch länger.
Aber dieses Mal erlitt er zwanzig Meilen entfernt von der Ranch einen tödlichen Herzanfall. Mitten im wilden Chiricahua-Wald, ganz allein.
Callie war am Boden zerstört, stellte jedoch bald fest, dass sie die Einzige war, der es so ging. Einige der Mitarbeiter waren weitergezogen, andere – wie Lou und Marge – waren geblieben. Stone und Eddie waren gekommen, um bei ihr zu arbeiten, und dann hatten Tucker und Jake zugestimmt, dass sie Verwalterin der Ranch wurde. Sie hatte
das Beste aus der Zeit gemacht und die Dinge allmählich verbessert, so gut sie konnte.
Sie hatte immer gespart, wobei ihr die Finanzberatung von Michael Dawson half, einem Mann, mit dem sie einiges verband. Zum einen war er ihr bester Freund. Zum anderen der Partner ihres Ex-Mannes in einer Hypothekenbank, bei der sie hoffentlich bald – vielleicht in zwei Jahren oder früher – ihre Finanzen so weit geordnet haben würde, dass sie ein Darlehen bekäme.
Aber wie so oft in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass es ihr vielleicht doch nicht schnell genug gehen konnte.
Bis zur Morgendämmerung war es noch eine
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