Brandhei
angerannt, wenn ich nach Hause kam. Du hast deine pummeligen, kleinen Ärmchen um meine Beine geschlungen und gelacht, wenn ich versucht habe zu gehen, während du an mir hingst.« Nichts auf der Welt hatte ihm je so sehr
das Gefühl gegeben, wichtig zu sein – nichts vorher und nichts danach.
»Ja, ja. Damals war ich ja auch ein dummes, kleines Kind.«
Jake verzichtete darauf, Tucker zu fragen, was seitdem passiert war, und sah sich um. Das Blockhaus als klein zu bezeichnen wäre eine Untertreibung gewesen. Eine Kochnische und eine Art Wohnzimmer, in dem sich ein Kamin mit einer Couch davor befand. Hinter der Couch stand ein Feldbett. Er sah es an und stöhnte leise.
»Immer dieser Geländewagen«, erinnerte Tucker ihn.
»Weißt du, eigentlich könntest du diesem Kerl ein bisschen mehr Dankbarkeit erweisen, der dich aus der Einbahnstraße Richtung Knast herausgeholt hat und aus der Stadt, in der die Hälfte der Leute dich am liebsten umgebracht hätten. Und der dir dann auch noch einen Job besorgt hat.«
Tucker sah ihn finster an.
»Oder etwa nicht«, brummte Jake und ließ sich völlig erschöpft auf der Couch nieder.
»Mach’s noch einmal, Sherlock Holmes.«
Jake stand auf, ging um die Couch herum und stieß mit dem Fuß gegen das Feldbett. »Krieg ich wenigstens ein Kopfkissen...« Schon hatte er es im Gesicht. »Wow, Danke.«
»Du brauchst mir nicht zu danken. Hast ja dafür bezahlt.«
»Ist es das, was dich so nervt? Du bist sauer auf mich, weil du mir Geld schuldest?«
»Ich schulde dir gar nichts.«
»Weißt du was, Tucker?« Erschöpft sank er auf das Feldbett. Er streifte seine Schuhe ab und legte sich vorsichtig hin. »Erinnere mich daran, dass ich dich morgen früh
windelweich schlage.« Hätte er dazu nur die Kraft! Jake schloss seine Augen und fiel – vollkommen angekleidet – in einen tiefen Schlaf.
Später in der Nacht lag Callie in ihrem Bett und schaute zu, wie der Schatten des Mondes an der Zimmerdecke spielte. Immer noch sah sie Jake auf dem Zaun balancierend sitzen, wie er sie vor einem durchgegangenen Pferd hatte beschützen wollen.
Das war lächerlich, aber trotzdem …
Welcher Mann würde so etwas für eine Frau tun, die er kaum kannte? Ein Firefighter, klar. Ein Mann, der es ganz normal fand, die Unversehrtheit anderer wichtiger zu nehmen als die eigene.
Sie hätte ihn dafür fast mögen können, wenn ihre vorangegangene Unterhaltung sie nicht verfolgt hätte.
»Es ist höchste Zeit, die Ranch ein wenig aufzumöbeln, um ihren Wert etwas zu steigern.«
» Sie hat Wert.«
» Wenn man sie nicht weiterverkaufen kann, dann hat sie keinen.«
Diese Worte ließen sie nicht mehr los, seit sie am Whirlpool miteinander gesprochen hatten und er danach eingeschlafen war. Als sie das erste Mal den Fuß auf die Ranch gesetzt hatte, war sie siebzehn Jahre alt gewesen, hatte zwanzig Dollar in der Tasche gehabt und nicht mehr besessen als das, was sich in ihrem abgewetzten, alten Rucksack befunden hatte …
Bei der Erinnerung daran musste sie lächeln, auch wenn sie damals nicht gelächelt hatte. Ganz unmerklich hatte sie in ihren Stiefeln gezittert. Richard Rawlins hatte vor ihr gestanden und so groß und beeindruckend ausgesehen, so mit den Händen an den Hüften auf das ungepflegte, heimatlose
junge Mädchen herunterblickend, das nach einem Job gefragt hatte.
»Was kannst du denn so, Mädchen?«, fragte er sie streng mit dieser herben Stimme, die den Eindruck vermittelte, als redete er seit Jahren so mit ungepflegten, heimatlosen jungen Mädchen.
Aber Callie hatte gelernt, niemandem zu zeigen, wie sehr sie sich schämte. Sehr gut hatte sie das gelernt. So mancher meinte auch, sie wäre zu stolz, aber das fand sie gar nicht. Sie war nur unabhängig – und wild entschlossen, unabhängig zu bleiben. Und da sie sich in ihrem ganzen Leben auf niemanden als auf sich selbst hatte verlassen können, hatte sie dafür allen Grund. »Ich kann die Ställe sauber machen«, hatte sie ihm gesagt. Ihre Mutter war eine unbedeutende Sängerin gewesen, die in Callies Kindheit und Jugend kreuz und quer durch den gesamten Süden getingelt und in den Bars dem Ruhm nachgejagt war. Deshalb war sie in den Nächten nur sehr selten bemuttert worden. Sie gebrauchte das Wort »bemuttern« in einer recht weiten Bedeutung. Denn wenn irgendjemand sie jemals wirklich bemuttert hatte, so war sie selbst, Callie, es gewesen.
Jedenfalls war sie in jener Zeit fast immer auf sich selbst gestellt. Während der
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