Brandherd
nichts an.«
»Ich frage mich bloß, warum du nicht lernst .«, fing ich an, inzwischen selbst von Zorn gepackt.
»Was lernst?«
Ihre vorgetäuschte Ahnungslosigkeit legte darauf an, sich zu ärgern, sich ausgeschlossen zu fühlen und dass man sich dämlich vorkam.
»Nicht mit Leuten zu schlafen, mit denen du zusammenarbeitest.«
Ich hatte meine Gefühle nicht mehr im Griff und befand mich auf einem gefährlichen Gleis. Ich war unfair, ließ mich ohne ernsthafte Beweise zu vorschnellen Schlüssen hinreißen. Doch es war die Angst um Lucy, die mich trieb und die vor nichts mehr Halt machte.
»Jemand schenkt mir ein T-Shirt, und schon schlafe ich mit dieser Person? Hm. Das nenne ich eine hieb- und stichfeste Schlussfolgerung, Dr. Scarpetta«, sagte Lucy und wurde zusehends wütender. »Und außerdem, du has t es gerade nötig, dich darüber aufzuregen, dass jemand mit einem Kollegen schläft.
Mit wem lebst denn du praktisch zusammen, bitte schön?«
Ich war überzeugt, Lucy wäre in die Nacht hinausgestürmt, wenn sie angezogen gewesen wäre. Stattdessen kehrte sie mir den Rücken zu und starrte auf die zugezogenen Vorhänge vor dem Fenster. Sie wischte sich die Tränen der Empörung vom Gesicht, und ich versuchte zu retten, was von diesem Augenblick, der eine völlig unbeabsichtigte Wende genommen hatte, noch zu retten war.
»Wir sind beide müde«, sagte ich leise. »Es war ein schrecklicher Tag, und nun hat Carrie genau das bekommen, was sie wollte.
Sie hat uns gegeneinander aufgehetzt.«
Meine Nichte rührte sich nicht von der Stelle und sagte keinen Ton, während sie sich erneut das Gesicht wischte. Ihr Rücken war mir zugekehrt wie eine abweisende Mauer.
»Ich habe damit keineswegs sagen wollen, dass du mit Teun schläfst«, fuhr ich fort. »Ich wollte dich doch nur vor Kummer und Chaos bewahren . Ich meine, ich kann mir eben vorstellen, dass so was passieren könnte.«
Sie wandte sich um und starrte mich herausfordernd an.
»Was willst du damit sagen - du kannst dir vorstellen, dass so was passieren könnte?«, wollte sie wissen. »Ist sie lesbisch? Ich kann mich nicht erinnern, dass sie so was gesagt hätte.«
»Vielleicht ist das Verhältnis zu Janet ja zur Zeit nicht rosig«, fuhr ich fort, »und Menschen sind nun mal Menschen.«
Sie setzte sich ans Fußende meines Bettes, und es war deutlich, dass das Thema für sie noch nicht beendet war.
»Soll heißen?«
»Genau, was ich sage. Ich bin ja nicht in einer Höhle geboren.
Teuns Geschlecht ändert daran für mich gar nichts. Ich habe nicht die mindeste Ahnung, was ihre Neigungen betrifft. Doch wenn ihr euch nun zueinander hingezogen fühlt? Wäre das vielleicht verwunderlich, so attraktiv wie ihr beide seid? Ihr seht blendend aus, seid beeindruckende Frauen, ungeheuer gescheit, ungeheuer mutig. Ich gebe nur zu bedenken, dass sie deine Ausbilderin ist, Lucy.«
Das Blut pochte mir in den Adern, als meine Stimme eindringlicher wurde.
»Und was ist dann?«, fragte ich. »Willst du vielleicht von einer Bundesbehörde zur nächsten ziehen, bis du dich endgültig ins Abseits gevögelt hast? Darum geht's mir, ob dir das gefällt oder nicht.
Und es ist das letzte Mal, dass ich die Sprache darauf bringe.«
Meine Nichte starrte mich einfach bloß an, während ihre Augen sich abermals mit Tränen füllten. Diesmal wischte sie sie nicht fort, und sie rollten ihr die Wangen hinab und tropften auf das Hemd, das Teun McGovern ihr geschenkt hatte.
»Es tut mir Leid, Lucy«, sagte ich sanft, »ich weiß, dass du kein leichtes Leben hast.«
Wir schwiegen, während sie sich abwandte und weinte. Ein tiefer, langer Atemzug ließ ihre Brust erbeben.
»Hast du je eine Frau geliebt?«, fragte sie mich.
»Ich liebe dich.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Verliebt war ich in keine«, sagte ich. »Jedenfalls nicht dass ich wüsste.«
»Das hört sich ziemlich ausweichend an.«
»Das war nicht beabsichtigt.«
»Könntest du?«
»Was könnte ich?«
»Eine Frau lieben«, sagte sie beharrlich.
»Ich weiß nicht. Ich fange an zu glauben, dass ich überhaupt nichts weiß.« Das war so aufrichtig, wie ich es fertig brachte.
»Vielleicht ist der Teil meines Gehirns versperrt.«
»Das hat mit deinem Gehirn nichts zu tun.«
Ich wüsste nicht recht, was ich sagen sollte.
»Ich habe mit zwei Männern geschlafen«, sagte sie. »Ich kenne also den Unterschied, nur zu deiner Information.«
»Lucy, du musst deinen Fall nicht vor mir rechtfertigen.«
»Mein
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