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Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Titel: Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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sie brennend heiß. Ein schlechter Fluchtweg. Ich schaute nach oben, aber das war müßig. Meine Augen waren zwar an die Dunkelheit gewöhnt, konnten aber trotzdem nichts erkennen.
    Ich begann wieder an den Seilen zu ziehen, streckte immer wieder die Hand aus, um mich zu vergewissern, daß ich nicht gegen die Decke krachte. Die Schmerzen in meinem Kopf waren übergegangen in ein leichtes, fernes Gefühl, als triebe die obere Hälfte meines Kopfes ein paar Kilometer weit entfernt von meinem Körper im Wasser. Jedesmal, wenn ich jedoch mit der Plackerei aufhörte und danach tastete, stürzte mein Kopf krachend auf mich zurück. War es so, wenn man Heroin spritzte? Hatte sich Cerise deshalb auf der Rapelec-Baustelle verkrochen, damit sie das empfand – wie ihr Kopf über ihrem Körper schwebte?
    »Vierundzwanzig Räuber klopften an der Tür, vierundzwanzig Räuber wollten was von mir. Sie wollten dieses und sie wollten das –« Die Worte strömten aus mir heraus, gegen meinen Willen, als ich ihren Klang schon lange nicht mehr ertragen konnte. In der Dunkelheit sah ich Feuerräder durch den Aufzugschacht wirbeln, blendende Lichtbündel auf meiner ausgebrannten Netzhaut. Zukunft und Vergangenheit verschmolzen zu einer endlosen Gegenwart, der Gegenwart des Seils, dieser Muskeln jenseits der Erschöpfung, diesem wunde Hand über wunde Hand, diesem unerträglichen Klang meiner Stimme, die Kinderreime von sich gab.
    Plötzlich ließ sich das Seil nicht mehr bewegen. Ein paar Sekunden lang riß ich daran, wollte die automatisierten Bewegungen nicht wieder aufgeben. Dann begriff ich. Die Fahrt war zu Ende. Wenn wir hier nicht rauskamen, waren wir geliefert.
    Ich setzte mich auf den Kasten. Meine Knie waren steif von der Schinderei und meldeten stechend Protest an, als ich sie plötzlich beugte. Ich lehnte mich hinunter und tastete nach der Aufzugtür. Sie fühlte sich kühl an. Ich drehte mich um, kletterte in den Kasten und quetschte mich neben die Matratze.
    Die Tür klemmte, war aber nicht abgeschlossen, wie ich zuerst befürchtete. Ich stützte mich an der Matratze ab und trat so kräftig gegen die Tür, wie ich das mit den wackligen Beinen konnte. Die Tür knarrte. Ich zog die Knie an die Brust, mißachtete den pochenden Schmerz und stieß mit aller Kraft zu. Die Tür flog aus dem Rahmen.
    Ich rutschte hinaus und drehte mich nach meiner Tante um. Durch die Jahre, in denen sie Raubbau mit ihrem Körper getrieben hatte, war er widerstandsfähig geworden – sie blieb bewußtlos, aber die flachen, unsicheren Schnarchlaute waren noch immer zu hören.
    Ich lehnte sie gegen die Wand und zwang meine müden Beine, den Flur entlangzugehen. Jetzt, wo wir über der Erde waren, warfen der Vollmond und die Straßenlaternen einen schwachen Lichtschein auf die Wände, so daß ich mir den Weg nicht mehr ertasten mußte. In der Ferne hörte ich das tiefe, erregte Tuten der Feuerwehr. Jetzt mußte ich nur noch ein Fenster finden, an dem sie mich sehen konnten.
    »Liebe, Liebe, Himmelsmacht«, sang ich leise vor mich hin, »bricht sich Bahn bei Tag und Nacht.« Ich lief Schlittschuh, bewegte mich so mühelos, daß ich fast schwebte. Mein Vetter Bum-Bum und ich waren verbotenerweise auf der zugefrorenen Lagune, drehten uns im Kreis, bis uns schwindlig wurde. Wir durften nicht dorthin, niemand wußte, wie dick das Eis war, wenn es gebrochen wäre, dann wären wir bestimmt ertrunken, weil niemand da war, der uns hätte retten können. Wer als erster aufgab, war ein Feigling, und ich wollte meinem Vetter gegenüber kein Feigling sein. Er war ein besserer Schlittschuhläufer als ich, aber er war nicht zäher.
    Er war irgendwo in meiner Nähe, das wußte ich, aber ich konnte ihn nicht finden. Ich lief und lief weiter auf dem Eis, rief seinen Namen, machte jede Tür auf, sah ihn aber nicht. Ich kam zu einem Fenster und starrte hinaus auf eine Plattform aus Metall. Ich dachte, Bum-Bum sei hinter mir, aber als ich mich umdrehte, war er verschwunden. Als ich wieder auf das Fenster schaute, sah ich nur mein Spiegelbild. Hinter der Scheibe war eine Feuertreppe.
    Ich kämpfte mit dem Fenster, aber es war mit Farbe verklebt. Ich schaute mich nach einem Werkzeug um, aber der Raum war völlig kahl. Ich hob das zitternde rechte Bein und trat so kräftig zu, wie ich konnte. Das alte Glas bebte und bekam Sprünge. Ich trat noch einmal zu, und die ganze Scheibe gab nach.
    Ich schaute hinunter. Unter mir brannte das Gebäude stetig, und Flammen züngelten nach

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