Brandzeichen
Gelächter auszubrechen. Der Bau befand sich am Las Vegas Boulevard, eingezwängt zwischen neontriefenden kitschigen Hotelwolkenkratzern, hatte die Größe eines einstöckigen Hauses, war hellrosa verputzt und hatte weiße Türen. Über den Türen war in Messing eingraviert: ZU ZWEIEN SOLLT IHR SCHREITEN ...
Die farbigen Glasfenster zeigten nicht etwa religiöse Motive, sondern farbenfreudig ausgemalte Szenen aus berühmten Liebesgeschichten, darunter >Romeo und Julia<, >Abelard und Heloise<, >Aucassin und Nicolette<, >Vom Winde verweht<, >Casablanca< und sogar >I Love Lucy<. Seltsamerweise konnten ihnen diese Geschmacklosigkeiten nicht die Stimmung verderben. Nichts sollte diesem Tag Abbruch tun. Selbst die scheußliche Kapelle war etwas, woran sie sich bis in jedes ihrer geschmacklosen Details erinnern wollten, und stets mit angenehmen Gefühlen, denn es war ihre Kapelle an ihrem Tag und daher auf eigene, seltsame Weise etwas Besonderes.
Hunde hatten gewöhnlich keinen Zutritt. Aber Travis hatte dem gesamten Mitarbeiterstab im voraus reichlich Trinkgeld gegeben, um sicherzustellen, daß man Einstein nicht nur hin einließ, sondern er sogar das Gefühl haben würde, so will kommen zu sein wie jeder andere. Der Priester, Reverend Dan Dupree - »Bitte, nennen Sie mich Reverend Dan« - war ein rotgesichtiger, dickbäuchiger Bursche, immer strahlend und leutselig tuend, der wie ein Gebrauchtwagenhändler aussah. Zwei bezahlte Trauzeugen flankierten ihn - seine Frau und deren Schwester -, die sich für den Anlaß helle Sommerkleider angezogen hatten.
Travis nahm vorne Platz. Die Organistin stimmte den Hochzeitsmarsch an. Nora hatte sich sehr gewünscht, durch den Mittelgang zu schreiten und vorne auf Travis zu treffen, statt einfach mit der Zeremonie am Altargeländer zu beginnen. Außerdem wollte sie ihm >übergeben< werden, wie andere Bräute auch; solches hätte natürlich Ehrenpflicht eines Vaters sein sollen, aber sie hatte keinen Vater. Es war auch niemand anderer zur Hand, der als Kandidat hierfür geeignet gewesen wäre, und zunächst schien es, daß sie den Weg allein oder am Arm eines Fremden würde zurücklegen müssen. Aber während der Fahrt zur Zeremonie im Pick-up war ihr plötzlich klargeworden, daß ja Einstein zur Verfügung stand, und sie kam zur Überzeugung, daß niemand auf der Welt besser geeignet war, sie durch den Mittelgang zu geleiten, als der Hund. Als die Organistin jetzt spielte, betrat Nora mit dem Hund an ihrer Seite den hinteren Teil des Kirchenschiffs, Einstein war sich der großen Ehre, sie begleiten zu dürfen, bewußt und ging mit aller Würde und allem Stolz, deren er fähig war, mit hocherhobenem Kopf neben ihr einher, gemessenen Schritts, ganz wie sie. Niemand schien es zu stören - oder auch nur zu überraschen -, daß ein Hund Nora ihrem Bräutigam zuführte. schließlich war dies Las Vegas.
»Eine der reizendsten Bräute, die ich je gesehen habe«, flüsterte Reverend Dans Frau Travis zu, und er hatte das Gefühl, daß sie es ehrlich meinte und dieses Kompliment nicht routinemäßig verabreichte. Das Blitzlicht des Fotografen blitzte wiederholt, aber Travis war zu sehr in Noras Anblick versunken, als daß ihn das gestört hätte. Von Rosen und Nelken überquellende Vasen füllten das kleine Kirchenschiff mit ihrem Duft, hundert Kerzen flackerten weich, einige in Votivschalen aus klarem Glas, andere auf Messingkandelabern. Als Nora schließlich bei ihm anlangte, hatte Travis die geschmacklose Dekoration vergessen. Seine Liebe erschuf die Kapelle architektonisch völlig neu, machte aus ihr eine Kathedrale, die an Größe keiner auf der Welt nachstand.
Die Zeremonie war kurz und wider Erwarten erhebend und feierlich. Travis und Nora tauschten die Ehegelübde, dann die Ringe, Travis sah das Kerzenlicht, das von ihren Tränen reflektiert wurde, und fragte sich, warum ihre Tränen vor seinen Augen verschwammen. Und dann wurde ihm bewußt, daß auch er am Rande der Tränen war. Ein dramatisches Orgelgebraus begleitete ihren ersten Kuß als Mann und Frau, und es war der süßeste Kuß seines Lebens. Reverend Dan ließ den Dom Perignon knallen und schenkte auf Travis' Anweisung jedem, auch der Organistin, ein Glas ein. Für Einstein fand sich eine Untertasse. Laut schlabbernd schloß der Retriever sich ihren Wünschen für ein langes Leben, Glück und ewige Liebe an. Einstein verbrachte den Nachmittag im vorderen Teil des Wohnwagens mit einem seiner Bilderbücher.
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