Brandzeichen
sie.
»Tatsächlich haben wir sogar Vorkehrungen dagegen getroffen. Aber es ist trotzdem so gekommen. Daß es trotz unserer Vorsichtsmaßnahmen passiert ist, daran ist etwas Besonderes. Findest du nicht auch? Das, was ich vorher gesagt habe, daß es mir vielleicht nicht bestimmt ist, es zu bekommen... nun, da spricht bloß die alte Nora. Die neue Nora meint, daß es uns sehr wohl bestimmt ist, daß es ein großes Geschenk für uns ist - so wie Einstein eines war.«
»Aber wenn man bedenkt, was vielleicht...«
»Das hat nichts zu besagen«, meinte sie.
»Damit werden wir fertig. Wir werden das alles gut überstehen. Wir sind bereit. Und dann werden wir das Baby haben und wirklich unser gemeinsames Leben anfangen. Ich liebe dich, Travis.«
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Herrgott, ich liebe dich.« Und wieder wurde ihm bewußt, wie sehr sie sich doch verändert hatte und wie wenig von der unscheinbaren Frau übriggeblieben war, die er letztes Frühjahr in Santa Barbara kennengelernt hatte. Im Augenblick war sie die Starke, die Entschlossene; sie war es, die versuchte, ihm seine Angst zu nehmen. Und es wirkte. Er fühlte sich besser. Er dachte an das Baby und lächelte im Dunkeln, das Gesicht an ihrem Hals geborgen. Obwohl das Schicksal jetzt drei Geiseln hatte - Nora, das ungeborene Baby und Einstein -, war er in besserer Stimmung, als das seit einer Ewigkeit der Fall gewesen war. Nora hatte ihn von der Angst befreit.
Vince Nasco sass auf einem kunstvoll geschnitzten italienischen Sessel mit spiegelblanker Politur, Ergebnis einiger Jahrhunderte regelmäßgen Polierens.
Rechts von ihm standen ein Sofa und zwei weitere Sessel sowie ein niedriger Tisch von gleicher Eleganz vor einem Hintergrund von Regalen mit ledergebundencn Folianten, die noch nie jemand gelesen hatte. Er wußte, daß sie noch nie gelesen worden waren, weil Mario Tetragna, dessen privates Arbeitszimmer das war, einmal voll Stolz auf sie gezeigt und dabei gesagt hatte:
»Teure Bücher. So gut wie an dem Tag, an dem man sie gemacht hat, weil noch nie einer sie gelesen hat. Nicht eines.« Vor ihm stand der riesige Schreibtisch, an dem Mario Tetragna die Kassenberichte seiner Manager las, Aktenvermerke über neue Vorhaben verfaßte und Befehle erteilte, Menschen zu töten. Der Don saß jetzt an jenem Schreibtisch, hatte die Augen geschlossen, und sein Fleisch quoll über den Ledersessel. Es sah aus, als hätten seine verengten Arterien und sein verfettetes Herz ihn getötet, aber er dachte nur über Vinces Bitte nach. Mario Tetragna, >der Schraubenzieher - hochangesehener Patriarch seiner engsten Sippe, gefürchteter Don der gesamten Tetragna-Familie, die den Drogenhandel, die Spielhöllen, die Prostitution, die Kredithaie, die Pornografie und andere organisierte kriminelle Aktivitäten in San Francisco kontrollierte war einen Meter vierundfünfzig groß, einhundertfünfunddreißig Kilo schwer, ein Fleischberg mit einem Gesicht, das so formlos, fettig und glatt war wie eine zum Bersten gefüllte Wursthaut. Der Gedanke, daß dieses übergewichtige Exemplar eine so gefürchtete Verbrecherorganisation aufgebaut hatte, schien absurd. Tetragna war auch einmal jung gewesen, auch damals natürlich klein, und er sah aus wie jemand, der sein ganzes Leben lang fett gewesen war. Die feisten, wurstfingerigen Hände erinnerten Vince an die Hände eines Babys. Aber dies waren die Hände, die das Imperium der Familie lenkten. Bei einem Blick in Mario Tetragnas Augen war Vince sofort klar gewesen, daß die Statur des Don, sein nur zu augenfälliger körperlicher Verfall von keiner Bedeutung waren. Die Augen waren die eines Reptils: ausdruckslos, kalt, hart, wachsam. War man nicht vorsichtig, erregte man sein Mißfallen, würde er einen mit diesen Augen festbannen und nehmen, wie eine Schlange eine vor Angst erstarrte Maus nahm: in einem verschlingen und verdauen. Vince bewunderte Tetragna. Er wußte, dies war ein großer Mann, und wünschte, er könnte dem Don sagen, auch er sei ein Mann mit einer großen Zukunft. Aber er hatte gelernt, nicht von seiner Unsterblichkeit zu sprechen, denn in der Vergangenheit hatten solche Reden ihm von Seiten eines Mannes, von dem er geglaubt hatte, er würde ihn verstehen, lediglich Spott eingetragen. Jetzt öffnete Don Tetragna seine Reptilienaugen und sagte:
»Damit ich Sie ja richtig verstehe - Sie sind auf der Suche nach einem Mann. Dies ist keine Angelegenheit der Familie. Das ist eine private
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