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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Beobachtern sicher.
    Die vom Land weggehende Gezeitenströmung trug ihn an der Spitze des Wellenbrechers vorbei, einer Mauer aus einzelnen Felsbrocken und Steinen, die sich mehr als sechs Meter über die Wasserlinie erhob und in der Nacht wie ein fleckiges, grauschwarzes Bollwerk wirkte. Er mußte nicht nur um das Ende der Barriere herumschwimmen, sondern dann gegen die Strömung auf das Land zu. Ohne weitere Verzögerung begann er zu schwimmen und fragte sich, warum in aller Welt er eigentlich gedacht hatte, dies wäre ein Kinderspiel. Du bist fast einundsiebzig, sagte er sich, als er an der von einem Warnlicht für die Schiffahrt beleuchteten Felsspitze vorbeikraulte. Was ist eigentlich in dich gefahren, daß du den Helden spielst? Aber er wußte, was es war: die feste Überzeugung, daß der Hund in Freiheit bleiben mußte, nicht als Eigentum der Regierung behandelt werden durfte. Wenn wir so weit gekommen sind, daß wir erschaffen können, so wie Gott erschafft, dann müssen wir auch lernen, mit der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit Gottes zu handeln. Das war es, was er Nora und Travis und Einstein - gesagt hatte, in jener Nacht, als Ted Hockney ermordet worden war, und dabei war ihm jedes Wort bitterer Ernst gewesen. Salzwasser brannte in seinen Augen, nahm ihm die Sicht. Etwas davon war ihm in den Mund geraten und brannte an einer kleinen offenen Wunde an seiner Unterlippe. Er kämpfte gegen die Strömung an, arbeitete sich an der Spitze des Wellenbrechers vorbei, war jetzt vom Hafen aus unsichtbar, kämpfte sich auf die Felsen zu. Als er sie endlich erreicht hatte, klammerte er sich am ersten Steinbrocken fest, den er greifen konnte, keuchte, hatte im Augenblick nicht die Kraft, sich aus dem Wasser zu ziehen. In den Wochen, die verstrichen waren, seit Nora und Travis ihre Flucht angetreten hatten, hatte Garrison viel Zeit gehabt, über Einstein nachzudenken, und war jetzt noch überzeugter, daß es ein Akt höchster Ungerechtigkeit war, ein intelligentes Geschöpf einzusperren, das sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatte, auch wenn der Gefangene nur ein Hund war. Garrison hatte sein Leben der Durchsetzung der Gerechtigkeit gewidmet, was die Gesetze einer Demokratie möglich machten, und damit hatte er auch für die Erhaltung jener Freiheit gekämpft, die aus dieser Gerechtigkeit erwuchs. Wenn ein Mann mit Idealen zu dem Schluß kommt, er sei zu alt, für das, woran er glaubt, alles zu riskieren, dann ist er nicht länger ein Mann der Ideale. Möglicherweise ist er dann nicht einmal mehr ein Mann. Diese harte Wahrheit hatte ihn trotz seiner Jahre dazu getrieben, die nächtliche Strapaze auf sich zu nehmen. Seltsam - daß ein langes, nach Idealen ausgerichtetes Leben nach sieben Jahrzehnten am Schicksal eines Hundes auf seine letzte Probe gestellt wurde.
    Aber was für ein Hund das war!
    Und was für eine wunderbare neue Welt, in der sie lebten!
    Vielleicht würde man der Gentechnologie einen neuen Namen geben müssen, sie >Genkunst< nennen, denn jedes Kunstwerk war ein Akt der Schöpfung, und kein Akt der Schöpfung war größer oder schöner als die Erschaffung eines intelligenten Wesens.
    Inzwischen ging sein Atem ruhiger, er stemmte sich aus dem Wasser, stand jetzt auf der leicht geneigten Nordflanke des Wellenbrechers. Die Barriere ragte zwischen ihm und dem Hafen auf, und er arbeitete sich landeinwärts an den Felsen entlang, während zu seiner Linken die See gegen die Steine krachte. Er hatte eine wasserdichte Taschenlampe bei sich, die er sich an die Badehose gesteckt hatte, und diese Lampe benutzte er jetzt, während er sich mit größter Vorsicht barfuß über die Felsen landeinwärts bewegte, aus Angst, er könnte auf den nassen Steinen ausgleiten und sich ein Bein oder einen Knöchel brechen.
    Ein paar hundert Meter vor sich konnte er die Lichter der Stadt sehen und die undeutliche silberne Linie des Strandes.
    Ihm war kalt, aber nicht mehr so kalt wie im Wasser. Sein Herz schlug rasch, aber nicht so rasch wie vorhin.
    Er würde es schaffen. Lem Johnson fuhr von seinem provisorischen Hauptquartier im Gerichtsgebäude hinunter zum Hafen, und Cliff erwartete ihn an der leeren Bootsschlippe, wo die >Amazing Grace< vertäut gewesen war. Ein leichter Wind war aufgekommen. Hunderte von Booten an den Docks schlingerten leicht an ihren Liegeplätzen; sie ächzten, die durchhängenden Leinen klirrten an den Masten. Die Lampen an der Pier und die Bootslaternen warfen Lichtmuster über das dunkle,

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