Brandzeichen
Symptome aufgetreten waren, keine Hoffnung schöpfen. Selbst wenn Einstein sich im ersten Stadium der Krankheit befinden und sich nichts daran ändern sollte, sah es doch so aus, als würde er sterben. Am nächsten Tag, am Freitag, dem 3. Dezember, ging es Jim Keenes Helferin noch immer nicht gut genug, um zur Arbeit zu kommen, also halfen Nora und Travis wieder aus. Bis zum Mittag war Einsteins Fieber noch nicht gefallen. Aus seinen Augenwinkeln und der Nase trat immer noch eine durchsichtige, gelbliche Flüssigkeit aus. Sein Atem ging nicht mehr ganz so schwer, aber Nora stellte sich in ihrer Verzweiflung die Frage, ob der Atem des Hundes vielleicht nur deshalb leichter klang, weil er sich keine Mühe mehr gab, zu atmen, und dabei war, aufzugeben. Sie brachte vormittags keinen Bissen hinunter. Sie wusch und bügelte Travis' Kleider und ihre eigenen. Sie hatten zwei von Jim Keenes Bademänteln an, die ihnen zu groß waren. Am Nachmittag herrschte in der Praxis wieder reger Betrieb. Nora und Travis waren die ganze Zeit über in Bewegung, und Nora war froh darüber. Um dreiviertel fünf - den Augenblick würden sie, solange sie lebten, nie vergessen -, kurz nachdem sie Jim bei der Behandlung eines schwierigen Irish Setter beigestanden hatten, jaulte Einstein zweimal auf seiner Liegestatt in der Ecke auf. Nora und Travis fuhren herum, stöhnten und rechneten mit dem Schlimmsten. Dies war der erste Laut, den Einstein - abgesehen von Winseln -seit seinem Eintreffen in der Praxis von sich gab. Aber der Retriever hatte den Kopf gehoben das erstemal, daß er die Kraft hatte, ihn zu heben -und sah sie blinzelnd an. Er blickte neugierig in die Runde, als wollte er fragen, wo in aller Welt er sich befinde. Jim kniete neben dem Hund nieder, und während Travis und Nora sich erwartungsvoll hinten an ihn drängten, untersuchte er Einstein gründlich.
»Sehen Sie sich seine Augen an. Sie sind etwas trüb, aber überhaupt nicht mit vorher zu vergleichen. Und der Ausfluß hat auf gehört.« Mit einem feuchten Tuch säuberte Jim das verklebte Fell unter Einsteins Augen und wischte ihm die Nase sauber; auch aus den Nasenlöchern trat kein Ausfluß mehr. Dann maß er mit einem Rektalthermometer Einsteins Temperatur und meinte:
»Fällt. Ein ganzes Grad.«
»Gott sei Dank«, sagte Travis. Und Nora merkte, daß ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten.
»Er ist noch nicht überm Berg«, sagte Jim.
»Sein Herzschlag ist regelmäßiger, nicht mehr ganz so schnell, aber immer noch nicht gut. Nora, holen Sie eine von den Schüsseln dort drüben und füllen Sie sie mit etwas Wasser.«
Nora ging an den Ausguß und stellte die Schüssel kurz darauf neben dem Tierarzt auf den Boden. Jim schob sie Einstein hin.
»Was meinst du, Bursche?« Einstein hob wieder den Kopf von der Matratze und starrte die Schüssel an. Seine heraushängende Zunge sah trocken aus und war mit einer klebrigen Substanz bedeckt. Er winselte und leckte sich die Lefzen.
»Vielleicht«, sagte Travis, »wenn wir ihm helfen ...«
»Nein«, widersprach Jim Keene.
»Er soll es sich überlegen. Wenn ihm danach ist, wird er das schon wissen. Wir wollen ihn nicht zwingen, Wasser zu trinken, das er anschließend wieder erbricht. Er wird instinktiv wissen, ob das der richtige Zeitpunkt ist.« Mit einigem Ächzen und Stöhnen verlagerte Einstein sein Gewicht auf der Schaumstoffmatratze, rollte sich auf den Bauch. Er legte die Nase an die Schüssel, beschnüffelte das Wasser, leckte prüfend daran, fand Geschmack daran, leckte noch einmal und trank dann die Schüssel zu einem Drittel leer, ehe er sich seufzend wieder hinlegte. Jim Keene streichelte ihn und meinte:
»Jetzt wäre ich sehr überrascht, wenn er sich nicht erholen würde, völlig erholen würde. Aber eine Weile wird es noch dauern.« Eine Weile wird es noch dauern.
Der Satz beunruhigte Travis. Wieviel Zeit würde Einstein brauchen, um sich völlig zu erholen? Wenn der Outsider schließlich eintraf, würde es für sie alle besser sein, wenn Einstein gesund war und alle seine Sinne funktionierten. Trotz ihrer Infrarotanlage war Einstein ihr wichtigstes Frühwarnsystem. Nachdem der letzte Patient um halb sechs die Praxis verlassen hatte, verschwand Jim Keene auf eine halbe Stunde ohne Angabe eines Grundes und brachte, als er zurückkehrte, eine Flasche Champagner mit.
»Ich trinke gewöhnlich nicht viel. Aber es gibt Anlässe, die einen Schluck oder zwei einfach verlangen.« Nora hatte sich gelobt, während
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