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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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abzubiegen, kam außer Sicht, und Nora bedauerte ihre Feigheit, wünschte, sie hätte Travis kurz ins Haus gebeten. Fast wäre sie ihnen nachgerannt, hätte fast seinen Namen gerufen. Aber dann war der Wagen fort, und sie war wieder allein. Zögernd ging sie ins Haus und schloß die Tür vor der helleren Welt dort draußen.
    Der Diensthubschrauber vom Typ Bell JetRanger strich über die von Bäumen bestandenen Schluchten und kahl werdenden Kämme der Santa-Ana-Vorberge hinweg. Sein Schatten war ihm voraus, weil die Sonne im Westen stand, und der Freitagnachmittag zu verblassen begann. Als sie sich dem Holy Jim Canyon näherten, sah Lemuel Johnson zum Fenster des Passagierabteils hinaus und entdeckte vier Patrouillenwagen des Bezirkssheriffs, die sich dort unten entlang des schmalen Feldweges aufgereiht hatten. Ein paar weitere Fahrzeuge, darunter der Kombi des Leichenbeschauers und ein Jeep Cherokee, der wahrscheinlich dem Opfer gehörte, parkten neben der Steinhütte. Der Pilot hatte kaum genug Raum, um den Helikopter auf der Lichtung aufzusetzen. Noch bevor das Motorengeräusch verstummte und die von der Sonne bronzefarben getönten Rotoren sich langsamer drehten, war Lem herausgesprungen und eilte auf die Hütte zu. Cliff Soames, sein engster Mitarbeiter, folgte ihm auf den Fersen.
    Walt Gaines, der Bezirkssheriff, trat aus der Hütte, als Lem nah heran war. Gaines war ein Hüne, einen Meter neunzig groß und wenigstens neunzig Kilo schwer, mit enormen Schultern und einem mächtigen Brustkasten. Mit dem maisgelben Haar und den kornblumenblauen Augen hätte er wie ein Kinoheld aussehen können, wenn nicht das derbe Gesicht und die groben Züge gewesen wären. Er war fünfundfünfzig, sah aus wie vierzig und trug sein Haar nur eine Spur länger, als er es während der zwanzig Jahre bei der Marineinfanterie getragen hatte. Obwohl Lem Johnson Neger war, genauso dunkel wie Walt hellhäutig, nahezu zwanzig Zentimenter kleiner und fünfundzwanzig Kilo leichter als Walt, obwohl aus einer schwarzen Familie der gehobenen Mittelklasse stammend, während Walts Leute weißes Armeleutepack aus Kentucky waren, und obwohl Lem um zehn Jahre jünger war als der Sheriff, waren die beiden Freunde. Mehr als das, Kumpel. Sie spielten zusammen Bridge, gingen zusammen tiefseefischen und genossen es königlich, auf Liegestühlen im Garten des einen oder des anderen zu sitzen, Corona-Bier zu trinken und sämtliche Probleme der Welt zu lösen. Selbst ihre Frauen waren Freundinnen geworden, eine rein zufällige Entwicklung, die nach Walts Meinung >ein Wunder< war, weil, wie er sagte,
    »die Frau noch nie jemanden gemocht hat, den ich ihr in den letzten zweiunddreißig Jahren vorgestellt habe«. Für Lem war seine Freundschaft mit Walt Gaines ebenfalls ein Wunder, denn er war nicht der Mann, der leicht Freunde gewann. Er war ein Arbeitstier und hatte einfach nicht die Muße, eine Bekanntschaft zu pflegen und eine länger dauernde Beziehung daraus zu machen. Natürlich hatte es dieser Pflege bei Walt nicht bedurft; sie waren sich bei der ersten Begegnung sympathisch gewesen, hatten ähnliche Ansichten und Gesichtspunkte beim anderen entdeckt. Als sie einander sechs Monate lang kannten, schien es, als wären sie sich seit ihrer Kinderzeit nahegestanden. Lem war ihre Freundschaft fast so wichtig, wie seine Ehe mit Karen. Die Last seines Berufes wäre schwerer zu ertragen gewesen, hätte er nicht gelegentlich bei Walt etwas Dampf ablassen können. Als jetzt die Rotorblätter des Hubschraubers verstummten, sagte Walt Gaines:
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was euch Feds * an einem knorrigen alten Canyonbewohner interessiert.«
    [ *  Fed: Slangbezeichnung für Beamte einer Bundesbehörde (>Federal<). -Anm. d. Ü. ]
    »Gut«, sagte Lem.
    »Erwartet auch keiner von dir, und du willst es auch gar nicht wissen.«
    »Jedenfalls hab' ich bestimmt nicht damit gerechnet, daß du selbst kommst. Dachte, du würdest einen deiner Lakaien schicken.«
    »NSA-Beamte haben es gar nicht gern, wenn man sie Lakaien nennt«, sagte Lem. Walt warf Cliff Soames einen Blick zu und meinte:
    »Aber so behandelt er euch doch, oder? Wie Lakaien?«
    »Er ist ein Tyrann«, bestätigte Cliff. Er war einunddreißig, rothaarig und sommersprossig und sah eher aus wie ein beflissener junger Prediger als wie ein Agent der National Security Agency.
    »Nun, Cliff«, sagte Walt Caines,  »dazu muß man natürlich wissen, wo Lern herkommt. Sein Vater war ein getretener schwarzer

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