Brann 01 - Seelentrinkerin
unternahmen ihre Raubzüge stets zu zweit. Als Aituatea den zweiten Schatten erspähte, lächelte er grimmig. Es ist besser, wenn die beiden herhalten müssen, dachte er, als ich. Godalau gebe, daß sie von ihnen satt wird, so daß sie mich anhört, statt mir an die Kehle zu springen.
Die Frau wandte sich in eine der schmalen Seitengassen, die durch die engen Viertel der Ärmeren führten, der Musikanten, Artisten und Arbeiter. Djarko und Djamboa blieben ihr auf den Fersen, aus lauter Habsucht folgten sie ihr fast im Laufschritt. Aituatea folgte achtsamer, versuchte das wiederholte Kneifen in die Schulter zu mißachten, mit dem Hotea ihn dazu verleiten wollte, einzugreifen und das Weib vor den beiden Gaunern zu schützen. Sie schützen? Godalau beschütze mich! Er verlangsamte die unregelmäßige Gangart, bis er in den Schatten nahezu einem solchen Geist ähnelte, wie seine Schwester einer geworden war, wich Kehricht- und Kothaufen aus, mied ihre Schlüpfrigkeit, stieg schemenhaft über Schläfer hinweg, die an den Mauern kärgliche Zuflucht vorm Nebel gesucht hatten, der vom Meer aufs Land kroch. Zu Biegungen, die er nicht einsehen, an Ecken, die er nicht überschauen konnte, schlich er sich mit äußerster Umsicht, lauschte jeweils mehrere Herzschläge lang, bevor er weiterhuschte. Sah man von den trunkenen Schläfern ab, war die Gasse menschenleer, blieb still. Im Innern der hohen schmalen Häuser, die sich gegenseitig stützten, um nicht einzustürzen, schliefen Hina nun schon seit Stunden. Die meisten Leute, die hier hausten, würden bereits beim ersten Sonnenstrahl aufstehen müssen, um noch ein halbes Tagewerk geschafft zu bekommen, ehe sie von der Arbeit ablassen und am Fest teilnehmen konnten. Die Musikanten und übrigen Nachtmenschen befanden sich nicht daheim, würden jedoch vor Sonnenaufgang heimkehren, um sich noch ein paar Stündchen Schlummer zu gönnen, bevor sie sich von neuem auf die Straßen begaben, um den Massen der Feiernden einige Kupfermünzen aus den Taschen zu locken oder sie sonstwie um ihr Geld zu erleichtern.
Abermals kniff seine Schwester Aituatea in die Schulter. »Schau«, sagte sie, »schau da!«
»Hm?«
»Da auf der Erde!« Hotea deutete in eine dreckige Gasse zwischen zwei Häusern. Aituatea verkniff die Augen, sah jedoch nichts. Mit eingeschnürter Kehle schlich er in die Gasse. Sein Fuß stieß gegen etwas. Einen Körper. Er kniete nieder, drehte den Kopf der Gestalt, um ihr ins Gesicht zu sehen. Djarko. Aituatea preßte die Finger unterhalb des Kinns in den feisten Hals. Djarko war tot. Ein Stück weiter in der Gasse sah Aituatea noch ein längliches Etwas liegen. Er sparte sich die Mühe, es genauer in Augenschein zu nehmen, es konnte nur eines bedeuten. Beide waren tot. Und so schnell. Ohne einen Piepser. Große Männer. Zwar dumme, aber starke Burschen. Gefährlich. Nicht einmal ein
Stöhnen war von ihnen zu hören gewesen. Wacklig richtete er sich auf, latschte rückwärts aus der Gasse, Schritt um Schritt, während seine Fußsohlen übers festgetretene Erdreich schleiften, entfernte er sich von der Leiche, schaukelte und schwankte. Hotea berührte seinen Arm. Er gab eine Verwünschung von sich, wirbelte herum — und hätte die Flucht ergriffen, hätte die düstere Erscheinung ihm nicht den Weg versperrt.
»Warum schleichst du mir nach?« Die Frau besaß für jemanden ihres Geschlechts eine tiefe Stimme, der er das Bedrohliche so zweifelsfrei anhörte, wie er das eigene Herz pochen hörte. Er schluckte. Sein Mund war zum Sprechen zu trocken. Hotea rüttelte an seiner Schulter, fast zerstob aus Aufregung ihre Geisterhaftigkeit. Sie krallte die Finger in ihn, ließ einen dermaßen überstürzten Schwall von Gerede vernehmen, daß ihm davon der Kopf schmerzte. Er drehte sich von ihr weg, streckte sich vor den Stiefeln der Frau im festgetrampelten Dreck aus. Sie äußerte einen gedämpften Laut des Mißfallens. »Steh auf, Hina, ich verspüre keine Lust, mit deinem Hinterkopf zu sprechen!« Die Schärfe ihres Tonfalls bezeugte, daß ihre Geduld enge Grenzen hatte.
Aituatea raffte sich auf. »Seelentrinkerin«, fragte er, »magst du uns Gehör schenken?«
Sie schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht, ihr silbergraues Haar, auf dem sich bei jeder Bewegung des Kopfs wie in senkrechten Spiegelungen der Mondschein schimmerte. »Brann«, sagte sie. »Anders möchte ich nicht gerufen werden. Die andere Anrede gefällt mir nicht. Zumal sie eine Unwahrheit enthält.« Aituatea
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