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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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außergewöhnlich trockener Sommer, deshalb sorgten sie sich, das Feuer könnte auf ihre Lager übergreifen, also ließ er es stehen. Es stand leer, bis die Pest ausbrach. Du weißt von der Seuche?«
    »Vor zehn Jahren, hast du gesagt?« Brann schüttelte den Kopf, schob einen Zweig beiseite, der ihr Gesicht zu streifen drohte. »Damals weilte ich in der Fremde, eine halbe Welt weit war ich entfernt.«
    Aituatea betrat einen sichelförmigen Streifen des von jeglichem Pflanzenwuchs entblößten Untergrunds. »Hier wenden wir uns gen Osten. Sie war fürchterlich. Ich meine die Seuche. Die Temueng flohen wie Ratten, verhinderten jedoch, daß Hina Utar-Selt verließen. Schiffe in der Bucht rammten jedes Boot, das ablegte, und auf dem Damm errichtete man Sperren.« Er zeigte auf ein flaches breites Gebilde, von dem man im Nebel keine Einzelheiten erkannte. »Der Woda-Born. Hier ist Woda-Land. Heutzutage treibt sich hier niemand mehr herum. Sobald man in einem Haus die Krankheit feststellte, veranlaßten die Beamten seine Einäscherung. Temueng erteilten die Befehle, und Hina-Speichellecker taten das schmutzige Werk. Als unsere Familie erkrankte, Älteste Großmutter starb und Hotea begriff, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis jemand mit Feuer kam, brachte sie mich heimlich in das alte Lagerhaus; sie dachte sich, die Geister könnten schwerlich von der Seuche betroffen werden, sie waren ja schon tot, aber Schnüffler fernhalten. Die Woda-Geister waren bereits recht verblaßt, sie gingen schon länger als die meisten irdischen Seelen um, es waren ... Wieviel? Zehn oder mehr Jahre waren verstrichen, aber einige Nächte lang machten sie uns das Leben schwer. Wegen ihres Geheuls, der kalten Windstöße, die aus dem Nichts fuhren, der schwallweisen Ausdünstungen von Furcht, des Gestanks, des Zwickens und Kitzelns konnten wir nicht schlafen, doch nichts von allem, was sie uns antaten, war schlimmer als das, was ringsum geschah. Hotea mußte oft hinaus und mich alleinlassen, um auf Beutezüge zu gehen, uns Essen und Kleidung zu verschaffen. Ich saß gewissermaßen in dem Bau fest und hatte nichts zu tun, darum fing ich mit den Kindgeistern zu spielen an, obwohl sie Woda-an waren, und nach einem Weilchen hatten wir auch mit den Erwachsenengeistern unseren Frieden geschlossen, und als die Woda-an-Geister sich zuletzt verflüchtigten, zogen andere Geister bei uns ein. Niemand hat gern Geister im Haus, es erregt Aufsehen und gilt als Schande. Wenn man's sich leisten kann, holt man 'nen Geisterbeschwörer und läßt den Geist verscheuchen, ein freier Geist im Haus löst ein derartiges
    Umlaufen von Gerüchten aus, du würdest's gar nicht glauben. Infolgedessen gibt es ständig eine ganze Anzahl obdachloser Geister. Sie erfahren von uns, kommen zu uns, um im Lagerhaus zu wohnen.« Hinter sich hörte er ein Scharren, wirbelte herum. Zwei Bulldoggen kamen aus dem Nebel getrottet, blieben vor ihm stehen, die Mäuler geöffnet wie zu wildem Grinsen, unheimliche kristallgleiche Augen schienen ihn anzulachen. Er vermochte ein Schaudern nicht ganz zu unterdrücken, zwang sich dazu, ihnen den Rücken zuzuwenden, nahm die Richtung zur kleinen Pforte an der Rückseite des Gebäudes, aber er konnte ihre Gegenwart nicht vergessen, er hörte das Patschen und Scharren ihrer Pfoten, bildete sich ein gleichmäßiges Japsen ein, ihm war, als spüre er an den Waden ihren warmen Atem.
    Er schob die Pforte auf, trat hindurch. Zwischen der Brandmauer und dem eigentlichen Lager klaffte ein geringer Abstand, ein Freiraum, angefüllt mit Abfällen, die ganz allmählich wieder eins wurden mit der Erde, Knochensplitter, Kisten, Tauwerk, Papier, Seidenreste, Gräten, Segeltuchfetzen, altes Laub. Beim Lagerhaus selbst handelte es sich um einen rechteckigen Bau mit Mauern aus roten Ziegeln und einem Dach aus Schindeln, mit schwarzer Glasur, die von der Feuchtigkeit glänzten. Nässe troff trostlos von schwärzlichen Dachspornen in den unten angesammelten Unrat. Aituatea befaßte sich mit dem Rätselschloß einer kleinen Seitentür, hielt sie Brann und den Bulldoggen auf, folgte ihnen hinein. Am anderen Ende eines kühlen modrigen Flurs schimmerte im offenen Innenhof der Mondschein wie eine perlige Flut, glitzerte im Nebel, der hereingezogen oder eingesaugt worden war vom Atem des alten Lagers. Für einen Augenblick hoben sich Branns Umrisse gegen das Mondlicht ab, während Aituatea die Zugangstür schloß und absperrte, doch als er sich umdrehte, war sie

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