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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Anfertigung sucht man sich junge Mädchen ohne den geringfügigsten Makel am Leib; sie weben die Seide, danach läßt man kräftige, gesunde Schwangere die Kleidung besticken, so daß die Kraft des neuen Lebens auf den Stoff übertragen wird. Tausend Goldstücke für das schlichteste solche Gewand sind ein niedriger Preis. Hundertjahrkleider, so nannte man des alten Djallasoas Gewänder auch. Sogar der Temueng-Kaiser kaufte bei ihm ein. Man erzählte, man kriegte nicht mal 'n Schnupfen, wenn man diese Gwänder trug.« Der Nebel umhüllte sie alle drei, als durchmäßen sie eine Traumwelt; die nachlässig und schief gebauten Elendshütten beiderseits der Straße waren im wechselhaften Wallen der Schwaden mal sichtbar, mal unkenntlich. »Djallasoas ältester Sohn, so besagt die Geschichte, war ein wenig unbesonnen, er versetzte einem Woda-Schamanen 'nen Tritt oder dergleichen. Der alte Djallasoa bemühte sich um Beschwichtigung. Aber vergeblich. Der Woda-Schamane kam an Land, entfachte vorm Lagerhaus des Seidenhändlers ein Feuer, schlitzte Djallasoas Gemahlin, den sieben Kindern und zuletzt sich selbst die Kehle auf. Von da an spukten im Lagerhaus neun zornige Geister. Kein Hina-Priester konnte sie austreiben, gleich welchen Ranges, nicht einmal jene, die zum Kreis der Totenrichter zählten. Die Götter lehnten es ab, sich in diese Sache verwickeln zu lassen ...« Die Straße endete. Aituatea umrundete ein Dornengestrüpp und nahm den Weg durchs Gesträuch, beschritt einen ungekennzeichneten Pfad, ihm so vertraut, daß er nicht darauf zu achten brauchte, wohin er die Füße setzte. »Und die übrigen Woda-Schamanen blieben auf dem Wasser, hatten ihre Freude an dem ganzen Aufheben und verweigerten jede Abhilfe. Sämtliche Ewigkeitsgewänder, die Djallasoa in dem Lagerhaus angehäuft hatte, waren von jener Zeit an unverkäuflich, niemand traute sich, sie zu erwerben, solange ihnen ein Woda-Fluch anhaftete.«
    Auf der Ödlandfläche, die sie überquerten, wuchs ein Durcheinander von Dornensträuchern, Bambus, verstreuten Weidendickichten und einigen verkrüppelten Eichen. Infolge des Nebels, der die Sicht auf alles trübte, was sich weiter als eine Armlänge entfernt befand, der Stille, nur unterbrochen durch das Tropfen der Nässe von Ästen und Laub, das Knacken abgestorbener Zweige und verdorrten Krauts unter den Füßen, hatte man das Gefühl, man wandere durch den zur Traumlandschaft gewordenen Landstrich einer der Tuschezeichnungen Laksodeas des Älteren, die aufgrund ihrer feinen Verästelungen berühmt waren. Aituatea schätzte Laksodea den Älteren, er besaß mehrere seiner Bilder, Andenken an Nächte erfolgreicher Diebeszüg e .
    »Warum erzählst du mir das alles?« Aituatea drehte sich um, verblüfft wegen des bissigen Tons der Frage, schaute die Frau an. »Wie weit müssen wir noch gehen? Ich habe diese Nacht Wichtigeres zu tun als durch Büsche und Nässe zu stolpern.«
    Aituatea deutete nach vorn, wo sich das Dickicht lichtete. »Wir müssen noch ein wenig weiter als bis zu jener Stelle.« Er rieb sich seitlich am Kopf. »Verzeih uns und hab mit uns Geduld, wenn du's kannst, Saöri, aber niemand weiß, wo
    Hotea und ich wohnen. Es ist besser so. Ich hatte mit dem Erzählen dieser Geschichte bloß die Absicht, dir die Zeit zu vertreiben. Aber wenn du nichts mehr hören möchtest ...«
    »Ach, nun kannst du ruhig auch noch den Schluß erzählen, während wir den Weg fortsetzen.«
    Aituatea verbeugte sich, ehe er weiterging. »Die Hafenwächter wagten sich nicht in die Nähe des Lagerhauses. Die Seide im Innern war dort trotzdem in Sicherheit, nicht einmal Ältester Onkel mochte sich mit den Geistern anlegen, dabei war er der kühnste Dieb in Silili. Schließlich versammelten der alte Djallasoa und der Rest seines Klans eine wild zusammengewürfelte Schar von Geisterbeschwörern und Totenpriestern, die ins Lagerhaus eindrang, während sie Räucherstäbchen schwenkten, Gongs schlugen und Kracher um sich warfen; mit soviel Gestank und Lärm konnte man die Geister lange genug vertreiben, um die Seide herauszuholen. Man verbrannte die Ewigkeitsgewänder auf einem riesigen Scheiterhaufen am Woda-Born, alles übrige schaffte man hinweg, um es an Fremdlinge zu verkaufen, die es dann aus Tigarezun wegbrachten, je weiter fort, um so vorteilhafter. Und das Lagergebäude überließ man dem Verfall. Der alte Djallasoa hatte vor, es niederzubrennen, doch die anderen Händler stimmten ein Gejammer an, es war ein

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