Brann 01 - Seelentrinkerin
eigenen Versagen stellen. Er starrte den Greis an, verfluchte ihn insgeheim für die Festlegung einer so kurzen Frist. Der Alte hob den Kopf, blickte ihn gereizt an. Das ist alles, schien seine Haltung auszudrücken. Ihr habt, was ihr wolltet. Nun schert euch fort!
Schatten breiteten sich von ihm aus, verdrängten mit furchtbarer Finsternis Licht und Wärme. Aituatea wich zurück, kippte die Sitzbank um; Zederngeruch drohte ihn zu ersticken, fluchtartig rannte er aus der Kate.
Erneut ein Kneifen in seine Schulter. Hotea verlor die Geduld. »Folge ihr!« schrillte ihre Stimme. »Halt sie auf! Gib acht, daß sie dir nicht entwischt, du Narr! Du weißt, du wirst sie nicht wiederfinden. Und wir haben nur noch Zeit bis zum Sonnenaufgang.«
Während er unterdrückt Äußerungen des Mißmuts nuschelte, schwang sich Aituatea von den Ballen hinab. Die Hüfte tat ihm weh, aber das war er gewöhnt, fast vergaß er den Schmerz, während er an Lagerschuppen vorbeihastete, die Fährmannsstraße betrat. Die Frau beeilte sich nicht; beinahe hätte man meinen können, sie sei darauf aus, verfolgt zu werden, böte sich als Köder an, streife durchs Dunkel, um alles anzulocken, was dumm oder hungrig genug sein mochte, um sie zu überfallen. Er hielt von ihr Abstand, soweit es möglich war, ohne daß sie aus dem Blickfeld geriet. Zu augenfällig war sein eigentümlicher Humpelgang, selbst im unruhigen, Ungewissen Licht der Fackeln, die vor noch geöffneten Geschäften brannten, Schatten warfen, die ebenso schwankten und zuckten wie seine Gestalt. Ohne Anzeichen von Zimperlichkeit umschlenderte sie die Gruppen von Fährleuten und Lastträgern, die sich dem Spiel widmeten, bei Stapeln von Bronze- und Kupfermünzen kauerten, Knochen in kreidegezeichnete Felder aufs Pflaster warfen. Ab und zu verlangsamte sie ihre Schritte, lauschte mit seitlich geneigtem Kopf den Klängen von Flöten und Hackbrettern, die in schwermütiger Munterkeit aus den Freudenhäusern drangen, überhörte die Beleidigungen, die ihr untätige Huren zuriefen, die in den Fenstern von Obergeschossen lagen, strebte zügiger an bereits geschlossenen Läden vorüber, einem Kräuterhändler, der Stube eines Schamanen, einem Fischverkäufer, einem Gemüseladen, einer Wahrsagerin und etlichen ähnlichen Gewerben. Auch einige Speisebuden hatten schon geschlossen, vor anderen herrschte noch Betrieb, Leute standen davor und aßen Nudeln, eingelegte Bohnen und soßenreiche Salate aus Tonschüsseln oder mampften gebratene Sprotten. Aituatea beobachtete das unvorsichtige Umherstreifen der Frau und fühlte sich immer stärker in seinem Eindruck bestätigt, daß sie die Rolle des Köders in einer von ihr gestellten Falle übernommen hatte. Mag sein, sie hat selbst Hunger, überlegte er, und es schauderte ihn bei diesem Gedanken. Er blieb noch weiter hinter ihr zurück, seine Füße begannen zu schlurfen. Unversehens wunderte er sich, wo die Kinder stecken mochten. Dann und wann glaubte er, sie rufen zu hören, war sich jedoch nie sicher, und der Frau ließ sich nicht anmerken, ob sie derartige Rufe vernahm.
»Wohin geht sie?« brummelte er, bekam wie zur Antwort Hoteas Ellbogen in die Rippen. Es beunruhigte Aituatea, daß die Frau genau den von ihm gewünschten Weg einschlug, nämlich hügelaufwärts und ungefähr nach Norden; es war einfach zu günstig; wie Hotea damals beschrieben hatte, ergab es sich bei Gelegenheit, daß sich die alte Tungjii mit Jah'takash zusammentat, gerade wenn alles leicht ablief, und nur darauf wartete, daß man den Fuß in den Fallstrick setzte. Trotzdem hinkte er dem Weib hinterdrein, getrieben von ängstlicher Erregung, geplagt von Wißbegierde.
Die Frau bummelte an einem beleuchteten Eßstand vorüber. Der Inhaber lehnte auf der Theke, hinter ihm dampften Töpfe, er würfelte mit einem einzelnen Kunden mit Knochen. Die beiden Männer hielten inne, um der Frau nachzuglotzen, setzten dann das Spiel fort, tuschelten untereinander, redeten wahrscheinlich über das fremde Weib. Einen Augenblick später huschte hinter dem Eßstand ein Schatten hervor. Dank einer ungeschickten Regung der Gestalt sah Aituatea gleich darauf einen Teil des Gesichts, die Umrisse des Körpers, bevor sie wieder mit dem Dunkel verschmolz. Djarko. Verächtlich schnob Aituatea. Der Kerl fiel auf den Köder herein wie ein dummer Lümmel. Aituatea humpelte weiter, achtete noch sorgsamer aufs Unsichtbarbleiben. Djarkos ähnlich blödsinniger Vetter Djamboa konnte nicht weit sein, sie
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