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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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drückte er das Gesicht in die Felle und wartete. Sobald die Streife vorbeigelärmt war, schaute er wieder auf.
    Das Gespinst auf der Kaimauer verflog mit einer Schnelligkeit, die Aituatea verblüffte; danach krampfte sich ihm der Magen zusammen, als die Frau auf ihn zuschlenderte, unaufhaltsam und selbstherrlich wie der Wind. Was tat sie hier? Warum war sie nach Silili gekommen? Diese Frage hatte er sich bislang nicht gestellt, aber nun, da er sie sah ... Was hatte sie hier zu suchen? Alter, über den Hinweis hinaus, daß sie jemand sei, der es mit der Hexe aufnehmen könne, hast du uns nichts verraten. Was hast du uns verschwiegen? Was weißt du noch? Der verrückte alte Fuchs hatte nichts ausgeplaudert, was eine Prise Salz wert gewesen wäre.
    Der Greis hatte sich hingehockt, die von Erde verkrusteten Hände auf die Oberschenkel gelegt. Augen in der Farbe welken Laubs hatten zunächst Aituatea gemustert, anschließend Hotea, zuletzt an ihnen beiden vorüber hinauf an die Baumwollflocken ähnlichen Wolken geblickt, die durch den frühmorgendlichen Himmel schwebten.
    Hotea hatte Aituatea den Ellbogen in die Rippen gerammt. Er war einen Schritt vorwärtsgetorkelt, hatte sich verbeugt und dem Alten die Lackdose angeboten, gefüllt mit dem seltensten Tee, den er zu stehlen vermocht hatte.
    Aha! hatte der Alte gemacht. Steif stand er auf, nahm die Dose von Aituatea entgegen. Tretet ein! hatte er gesagt. Er hatte sie in den einzigen Raum seiner kleinen Behausung geführt. Darin herrschte peinliche Sauberkeit, und es war weitgehend kahl, kaum mehr vorhanden als eine Liege mit grobem Bettzeug, ein roher Tisch mit einem der Tür zugewandten Stuhl sowie gegenüber eine aus Kiefernholz gezimmerte Sitzbank. Er ging zu einem Regal — lediglich Brettern, die auf in die Wand getriebenen Pflöcken ruhten —, schob die Dose neben einen Stapel Schriftrollen und einen Pinselbehälter, schlurfte zum Stuhl. Nehmt Platz! hatte er sie aufgefordert.
    Aituatea hatte sich über die Schulter umgeschaut. Morgendliches Licht, kühl wie Wasser, durchschwärmt von Faltern, war durch den Eingang hereingedrungen, hatte den Tisch und seine Umgebung erhellt, jede Runzel, jede Warze, jedes Haar im stillen Gesicht des Alten sichtbar gemacht. Obwohl es ihm zuwider war, keine Wand im Rücken zu haben, setzte sich Aituatea auf die Sitzbank, zupfte unruhig an den Falten, die seine Kniehose warf. Er hätte gern die Tür geschlossen, traute sich jedoch nicht, in der Hütte irgend etwas anzurühren, und gleichzeitig bereitete ihm der Gedanke Pein, mit dem Greis in einem abgeschlossenen Raum zu sitzen. Er zuckte zusammen, sah sich aber nicht um, als er auf der Schulter die kalte Glut von Hoteas Hand spürte. Sein Blick huschte in die gleichmütige Miene auf der anderen Seite des Tischs, schweifte ab, fiel erneut auf das Greisengesicht. Der Alte wirkte harmlos und nicht besonders schlau, aber es liefen etliche Geschichten über ihn um und vorwitzige Jugendliche, die sich eingebildet hätten, sie könnten ihm seine Geheimnisse entreißen. In manchen Geschichten hieß es, es sei immer derselbe Alte, aber Temueng für Temueng, Hina für Hina, was er gerade zu sein wünschte.
    Die Kate durchzog ein verwehter Geruch nach Zedern und Kräutern; der schwache Wind, der aus dem Freien hereinblies, brachte die würzigen Düfte von Kiefern und Gebirgseichen mit, den schweren feuchten Brodem des Erdreichs, die leichteren undeutlicheren Gerüche von Steinstaub und wilden Orchideen. Warm und friedlich war es, das Säuseln der Brise und das Summen unerkennbarer Insekten betonten noch die Ruhe. Trotz der Umstände entspannte sich Aituatea. Hotea kniff ihn; doch er hielt starrsinnig den Mund. Der Besuch bei dem Alten war ihr Einfall gewesen, eine Lösung, auf die sie verfiel, nachdem sie ihn mit bitterlicher Schelte und Schmähungen nicht zum Handeln hatte drängen können. Wenn sie den Wunsch hatte, daß der Alte ihr half, sollte sie selbst ihn darum bitten.
    Auf ihrem ausgestreckten Arm gleißte das Sonnenlicht. Dank einer Kadda-Hexe bin ich ertrunken, brauste sie auf. Ihre Stimme übertönte die leisen Geräusche nicht, die man in der Kate hörte, aber der Greis blickte Hotea an, vernahm offenbar ihre Worte. Ich will ihren Tod! rief Hotea. Ich will sie drunten bei mir im Wasser haben! Tot.
    Der Greis hatte geblinzelt, die hellbraunen Augen hatten sich mit vorsätzlicher Bedächtigkeit geschlossen und geöffnet. In seinem zerfledderten braunen Gewand, mit den Büscheln

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